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Geometrie der Seele

Schon der Titel des Buches provoziert. Löst widersprüchliche Gedankengänge und Gefühle aus. Wie kann von einer „Geometrie der Seele“ ausgegangen werden, was implizit bedeutet, dass die Seele etwas klar Strukturiertes, Berechenbares, Kalkulierbares ist? Mittels neuester Technologien vielleicht sogar sichtbar gemacht werden kann oder 3-D-mäßig nachbildbar? Eine wohl bewusste intellektuelle wie auch emotionale Verwirrung. Verknüpft mit Fragestellungen, die der Autor DDr. Christian Schubert (1) in der Folge durchaus raffiniert und anschaulich auflöst. Spannend aufgebaut, eröffnet er überraschende Einblicke in das Geheimnis von Wechselspiel und Wechselwirkung zwischen Körper, Geist/Seele und Sozialem. Der Mensch als ganzheitliches Geschöpf – ohne Wenn und Aber – sein Credo. Medizinisch und therapeutisch. Dabei kommt der „Seele“ eine maßgebliche Rolle zu.

Fraktale – ein Blick in die Unendlichkeit

Will man eine Antwort darauf, was der Autor unter „Seele“ versteht, was er als Seele identifiziert, basierend auf 25 Jahren Forschungsarbeiten und auf Fallbeispielen aus seiner Praxis als ärztlicher Psychotherapeut, gibt es nur einen Weg: das 207 Seiten umfassende Buch bis zum Ende lesen. Was aufgrund des spannenden Aufbaues leicht fällt. Wohltuend, wie auf eine reine Spezialisten-Sprache von medizinischen und therapeutischen Fachbegriffen verzichtet wird und dort, wo sie unvermeidbar ist, sanftes Hinführen und Erklären erfolgt.

Dass sich ein Arzt, Neuroimmunologe, Psychologe und ärztlicher Psychotherapeut der Fragen der Ganzheitlichkeit des Menschen annimmt, ist erfreulich. Die höchst komplizierte und komplexe Vernetzung von Körper, Geist und sozialem Umfeld zählt wahrscheinlich zu den aufregendsten und noch längst nicht vollständig erforschten Geheimnissen unseres Lebens. Hirnforscher sprechen davon, dass sich nur ein kleines Segment der Wirklichkeit unserem Verstand erschließt. Umso begrüßenswerter ist ein Buch, dass sich dem Thema „Körper, Geist, Seele und soziales Umfeld“ ganzheitlich widmet.

Zumal die Entwicklung in der Medizin (aber nicht nur dort) die Ganzheitlichkeit-Komponente des Menschen immer mehr vergewaltigt und ignoriert. Von den Systemen wie auch von den darin agierenden Führungskräften. Wissentlich oder mangels einschlägiger Kenntnisse. Speziell die Entwicklungen in Richtung einer mehr oder weniger Maschinen- und Pharma-determinierten Medizin verlangt nach einer Korrektur.

Einer Korrektur, die Individualität und die Einzigartigkeit jedes Einzelnen wieder anerkennt und in den Mittelpunkt ihres Handelns stellt. Die eine Alternative zum Diktat von Institutionen und Organisationen und zur Knopfdruck-Medizin bietet. Die Unversehrtheit des Körpers und das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen muss als eines der wichtigsten Menschenrechte wieder Gültigkeit haben und darf nicht länger durch einen unanständigen, menschenverachtenden Globalismus ausgehöhlt werden.

Ist die „Seele“ ein Fraktal?

Was ist es jetzt, was uns diese wundersame Verknüpfung von Körper, Geist, Seele besser verstehen lässt? Eine Frage, die unter den Nägeln brennt. Insbesondere auch jene nach der „Seele“. Wie kann man „Seele“ verstehen? Was ist die „Seele“?

Religiös orientierte Menschen haben dafür eine über Jahrhunderte festgeschriebene Meinung. Diese variiert innerhalb der großen Religionsgemeinschaften, wenngleich sie sich ähnelt. Der in Europa weit verbreitete christliche Seelenbegriff etwa hängt eng mit der angenommenen „Unsterblichkeit der Seele“ zusammen. Diese sei nicht als ein schlichtes Weiterleben zu verstehen, sondern als „schöpferisches Handeln Gottes am Menschen, das auch an der Schwelle des Todes die Beziehung nicht abbrechen lässt“ (Rahner, 2010, 185; angelehnt an Ratzingers „dialogische Unsterblichkeit“).

Völlig anders die Annäherung des Autors an das Thema „Seele“. Weit entfernt von einer religiös angehauchten Interpretationsnähe, spannt er im ersten Moment einen frappierenden Bogen von „Fraktalen“ hin zum Seelischen im Menschen. Verblüffend, weil damit die unbegreifbare Seele etwas wird, was Bilder projiziert und die „Seele“ im Verständnis des Lesers in gewisser Weise vorstellbar und begreifbar macht. Zur Erläuterung, was „Fraktale“ sind, greift er auf den herausragenden Mathematiker Prof. Dr. Benoit Mandelbrot (2) zurück, der zu den Entdeckern der sogenannten Fraktale zählt. Diese an Schönheit kaum zu überbietenden Gebilde bzw. Muster kommen allerorten vor – in der Natur. Und im Menschen.

Von der Schönheit der Fraktale

Wo sind nun diese Wunderdinger in der Natur zu sehen?

Viele kennen das fantastisch schöne Kohlgemüse namens „Romanesco“, bewundert ob seiner außergewöhnlichen Form. Kleine pyramiden-ähnlich angeordnete Kegel, die sich vom größeren bis zum winzigsten Kegel formschön wiederholen. Dieses Beispiel, das aus dem Alltag vertraut ist, wählt der Autor als Analogie zwischen dem großartigen Design eines Produktes der Natur, einem Kohlgemüse, und dem noch großartigeren Design unseres Innenlebens, unseres Seelenlebens. Ein Schönheitswettbewerb der besonderen Art, wenngleich es keiner ist. Fraktale sind Formen, die in jedem ihrer Teile „selbstähnlich“ das Ganze widerspiegeln. Sie sind keine identen Kopien, sondern eben „selbstähnlich“. Die Seele wiederum als Seismograph für alles, was im Sinne des Wohlbefindens eines Menschen richtig und gut ist, ist ein in sich fraktales, permanent aktives Netzwerk. Die Summe von Eindrücken, Empfindungen und Gefühlen, die Lebens-„Muster“ prägen und bilden. Sich gegenseitig beeinflussend, miteinander kommunizierend und interagierend.

So gesehen wird durch die beschriebenen Forschungsergebnisse, Fallbeispiele und musterhaft illustrierte Annäherungen an das „Seelen-Leben“ der Vorhang zu einer bis dahin verschlossenen Erklärungswelt geöffnet. Zu einem zentralen Teil der möglichen Erklärung des Phänomens „Seele“. Oder wie Benoit Mandelbrot selbst zitiert wird, durch die Fraktale wird uns ein „Blick in die Unendlichkeit“ gewährt.

Unsichtbares wird sichtbar

Was das Besondere am Schubert`schen Ansatz ist, ist die Tatsache der Verschränkung von Sichtbarem und Unsichtbarem. Die leichtfüßige Vernetzung der unsichtbaren „Seele“ mit sichtbarem Verhalten, Störungen oder Gemütszuständen. Als wäre die „Seele“ – dank dem fraktalen Gerüst, auf dem sich Wissende sicher bewegen können, nunmehr ein offenes Buch, wenn es um die Analyse und das Einordnen von Stimmungen, Gefühlen und (auch spirituellen) Empfindungen geht. Mit dem Wissen über die fantastischen fraktalen Ordnungs- und Orientierungsmuster wird eine neue Dimension des Mensch-Seins erkennbar und begreifbar. Für alle – ob Therapeuten, Wissenschaftler, Mediziner und allen, die des Hineinzoomens in andere Personen oder in sich selbst, fähig sind.

Der Autor spannt dann den im ersten Moment durchaus frappierenden Bogen von den Fraktalen, die überall in der Natur anzutreffen sind – hin zum Seelischen des Menschen. Zu den Gefühlen, Emotionen, Empfindungen, zu allen Regungen, die das menschliche Leben erst zu dem machen, was gemeinhin als lebenswert gilt. Basierend auf jahrzehntelangen Studien an der Medizinischen Universität Innsbruck und seinen Erfahrungen als ärztlicher Psychotherapeut, gelingt dem Autor die Herkules-Arbeit einer ungemein detailreichen, gleichzeitig aber genügend abstrakten sensiblen Einführung in unser „Seelen-Leben“ und das Wechselspiel zwischen Körper und Seele.

Immer mehr „Sparring-Partner“

So wie es heute unvorstellbar ist, dass es Zeiten gab, in denen Menschen mit geistigen oder körperlichen Behinderungen weggesperrt wurden, wird es (hoffentlich) in absehbarer Zeit undenkbar sein, dass sich Mediziner und Lehrende nicht dem Phänomen der Ganzheitlichkeit widmen und daraus die entsprechenden Schlüsse für Handlungen und Behandlungen ziehen.

Jedenfalls ist der Trend unübersehbar, dass sich immer mehr Wissenschaftler, Forscher, Führungskräfte jeglicher Provenienz mit dem Menschen in seiner ganzheitlichen Großartigkeit befassen. Dass die Zahl der „Sparring-Partner“ jener Wissenschaftler, Forscher und Führungskräfte ständig größer wird, die sich mit der zunehmenden Degradierung des Menschen zu einem „Funktions-Knäuel“ nicht mehr abfinden. Ganz im Gegenteil. So auch der österreichische Mediziner Prof. DDr. Johannes Huber (3), der feststellt, dass der Mensch selbstverständlich viel „mehr ist als die Summe der Organe“. Und nachdrücklich darauf verweist, dass immer mehr wissenschaftliche Erkenntnisse selbst „spirituelle Annahmen“ bestätigen, wonach der Mensch zum Beispiel fähig ist, sich selbst krank, genauso aber auch wieder gesund zu machen.

Die vielerorts feststellbare Fehlentwicklung, weg vom Menschlichen, fasst der Philosoph Dr. Peter Sloterdijk (4) in einem Zitat wie folgt zusammen: „Die Beseelung der Maschinen entspricht strikt proportional der Entseelung des Menschen“. Oder wenn er nüchtern meint: „In den Fakultäten galten bisher allein die harten Fakten als existent – in Zukunft muss man sich mit den harten Nicht-Fakten zurechtfinden“. Es scheint also unter Forschern, wie auch Denkern und Praktikern interessante Erkenntnis-Parallelen zu geben, bei aller Diversität ihrer jeweiligen Forschungs- und Praxis-Arbeit. Auch einen „selbstähnlichen“ Anspruch, dass der Mensch seiner Ganzheitlichkeit zu sehen, zu verstehen und zu behandeln ist. Weil alles andere dem Menschen nicht gerecht wird.

Durch diesen Anspruch und durch ethische Grundlegungen dieser Art könnte in der Forschung selbst, aber auch in der medizinischen Ausbildung ein dramatisch-guter Wandel eingeleitet werden. In Richtung einer längst schon überfälligen Verknüpfung des Wissens um die Vorteile von spezialisierter Fachkompetenz mit dem generalisierten Fachwissen über die entscheidende Prämisse, dass der Mensch und seine Gesundheit nicht als die Summe von Einzelteilen zu sehen und zu heilen ist. Sondern quasi ein durch und durch emergentes Wesen, bei dem Körper, Geist/Seele und Soziales und deren gegenseitige Beeinflussung zu Ergebnissen führen, die seitens der Wissenschaft und Forschung erst zu einem sehr geringen Teil erklärt werden können.

Mathematik und Geometrie sind keine Angst-Themen

Selbst wenn man für Mathematik oder die euklidische Geometrie mehr Achtung als Verständnis aufbringt, betritt man völlig Angst-befreit dieses Terrain. Die Erläuterungen des Autors und des visionären Mathematikers Benoit Mandelbrot über die „Fraktale“, diesem Wunderwerk der Geometrie, sind gut nachvollziehbar. Diese faszinierenden Gebilde und an Schönheit schwer zu überbietende Muster scheinen allgegenwärtig zu sein. Unter dem von Benoit Mandelbrot geprägten Begriff versteht man natürliche oder künstliche Gebilde und geometrische Muster, bzw. nach bestimmten Ordnungsprinzipien gestaltete Formen, die in ihren Teilen immer wieder das Ganze widerspiegeln.

Einfach ausgedrückt und an einem Beispiel, das wir alle kennen, erläutert, macht man mit dem angeführten Fraktal-Beispiel „Baum“ einen wichtigen Schritt auf dem Erkenntnis-Weg. Sieht man einen Baum, so sieht man zunächst einmal nur das Gesamtbild: Baumstamm, Äste, Baumkrone. Zoomt man sich in das Innere des Baumes, erkennt man, dass sich dieses Gesamtbild immer wieder wiederholt: kleinere Äste bilden den „Stamm“ für noch kleinere Äste, die wieder eine „Ast-Krone“ aufweisen usw. Man erkennt die Selbstähnlichkeit der Äste und Zweige – zum Ganzen, zum Baum. Denn Fraktale sind keine identen Kopien des Ganzen, sondern können unwesentlich vom gesamten Erscheinungsbild abweichen. Sie weisen eine so große Ähnlichkeit auf, dass man von einer „Selbstähnlichkeit“ spricht. Ein weiteres wunderbares Beispiel für bezaubernde Fraktale sind Kristalle, insbesondere Schneekristalle. Zoomt man in die Kristalle hinein, eröffnet sich eine Wunderwelt unterschiedlichster „selbstähnlicher“ Kristall-Muster.

Neues Forschungsdesign – entwickelt in Innsbruck

Eine weitere Besonderheit des Buches ist die Fähigkeit des Autors, die Leser sicher von einer hoch spezialisierten Disziplin zur anderen zu führen. Wer noch nie etwas von Mandelbrot, Fraktalen, von der Koch´schen Kurve und der Koch´schen Schneeflocke gehört hat, muss sich dieses Buch gönnen. Was wie ein Spaziergang durch Kulinarik (Romanesco), Botanik (Bäume), die Kristall-Welten (Schneeflocken), Mathematik (Benoit Mandelbrot) und Iterations-Phänomenen (Sierpin´ski-Dreiecke) anmutet, ist viel mehr als das.

Es werden neue Wege beschritten, um das komplexe Zusammenspiel der Systeme auf biologischer, psychologischer und sozialer Ebene zu belegen. Unter anderem dank eines völlig neuen Forschungsdesigns, wie jenes der „integrativen Einzelfallstudien“. Entwickelt an der Medizinischen Universität Innsbruck – unter der Führung und Ägide des Autors. Dieses sehr aufwändige Forschungsdesign, mit deren Hilfe die Zusammenhänge von Körper, Psyche und Sozialem nachgewiesen wurden, kann als Meilenstein in der diesbezüglichen Forschung bezeichnet werden. Aufgrund der Erfahrungen und Ergebnisse müsste dieses Forschungsdesign künftig als „Goldstandard“ gelten und als solches das bisherige Design der randomisierten, kontrollierten Studien ablösen. So zumindest die Conclusio. Kein bescheidener Anspruch. Aber ein schlüssiger aufgrund der Plausibilität, mit der die „integrative Einzelfallstudie“ begründet wird, weil sie der Komplexität des Menschen entscheidend näherkommt, als alle bisher beschrittenen Forschungswege.

Fraktale und Kriminalistik

Selbst Krimi-Fans und die Kriminalistik kommen in diesem außergewöhnlichen Buch nicht zu kurz. Wenn durch die Manipulation von Umweltbedingungen gezielt die Saat für das Gute oder eben auch das Böse ausgestreut werden kann, ergeben sich neue Handlungsfelder und Fragestellungen. Sind Mörder daher „Opfer“ ihrer Umgebung oder das „Ergebnis“ traumatischer (Dauer-)Erlebnisse in der Kindheit und Jugend? Könnten Forschungsergebnisse ein völliges Neu-Denken bewirken? Und das Wissen um Fraktale dazu führen, dass Verbrechen gar nicht erst stattfinden „müssen“, weil zuvor die Konfliktfelder, die der potenziellen Katastrophe vorgelagert sind, rechtzeitig erkannt und aufgearbeitet wurden? Eine mehr als aufregende Perspektive, wenn der psychische Sprengsatz eventuell so rechtzeitig entschärft, therapeutisch zerstäubt wird, dass nichts „passiert“?

Insgesamt Fragen, die Herzklopfen auslösen. Hier werden einerseits hochkomplexe Systeme eindrucksvoll veranschaulicht. Andrerseits regt das Buch immer wieder zum Innehalten an. Zur persönlichen Innen-Schau und zum Nachdenken über die eigene Wirkung auf andere und was man – bewusst oder unbewusst – dadurch auslösen kann.

Wer erst einmal auf der Spur der Fraktale wandelt und deren betörende Schönheit in einem der vielen Mandelbrot-Videos kennenlernt, wird noch in anderen Bereichen fündig. Etwa die Anwendung der „Fraktal-Methode“ beim Zeichnen, entwickelt von der russischen Psychologin Tansilia Polujachtowa. Sie kam u.a. zur Erkenntnis, dass Fraktale zu zeichnen, therapeutische Wirkung hat, Leute schneller gesund werden und diese Technik hilft, schwierige Problemstellungen zu lösen – besonders bei traumatischen Erfahrungen, Ängsten oder Depressionen.

Einblicke und Ausblick

Anhand zahlreicher Fall-Beispiele gestattet der Autor schließlich einen aufrüttelnden Blick in die feinsinnige Welt eines Psychologen, Mediziners und Forschers, für den das Primat der Ganzheitlichkeit gilt. In der Therapie ebenso wie im ärztlich-medizinischen Bereich. Ohne larmoyantes Gedöns über die Schulmedizin und deren Fehlentwicklungen und das Faktum, dass ihre Reputation außerordentlich gelitten hat. Durch Vertreter einzelner Disziplinen, die ein Wissens-Monopol inne zu haben glauben und weder Reflexionsstärke noch dialog-basiertes Verständnis für andere (Lehr-)Meinungen aufbringen können.

Erfreulicherweise distanzieren sich von medizinischen Crash-Elementen dieser Art renommierte Wissenschaftler und Ärzte. Wie etwa DDr. Johannes Huber, der zwischen den Meinungsmonopolisten und den Wiener Fiaker-Pferden eine humorvoll ernste Verhaltensparallele vermutet: „Stur mit Scheuklappen unterwegs, nur gerade auf den gepflasterten Weg schauen, auf dem man unterwegs ist. Keine Nebengasse sehen, keine Parallel-Straßen oder Straßennetze kennen.“ Auf dem Sektor der Medizin eine gefährliche und dem Menschen undienliche Sache.

„Die Beseelung der Maschine entspricht strikt proportional der Entseelung des Menschen“. Dr. Peter Sloterdijk fasst in einem erschreckenden Satz das zusammen, was ethisch verwurzelte Ärzte und Mediziner heute immer häufiger anprangern: „Der Faktor Mensch wird vom Faktor Maschine überschattet.“ Die westliche Medizin stolpert(e) offensichtlich über, oder in eine, ausgeprägte Spezialisierungsfalle. In eine Richtung, in der Apparate und Medikament zu den vorrangigen Diagnose- und Therapieinstrumente verkommen. Die menschliche Komponente, das Gespräch, Zuhören und die Berührung finden im ärztlichen Behandlungsrepertoire keinen Platz mehr. Zunehmend jedenfalls. „Studien zufolge unterbrechen Ärzte ihre Patienten im Durchschnitt nach 18 Sekunden. Die Heilkraft der Hände hat nirgendwo mehr Platz“ (DDr. Johannes Huber).“

Resümee

Nachdem die vermutete „Berechenbarkeit“ des Seelischen, der Seele, durch den Buch-Titel „Geometrie der Seele“ eine erste Irritation auslöst, wird der Leser gleich zu Beginn mit einer weiteren Irritation konfrontiert, nämlich der des außergewöhnlichen Schreibstils. Der Leser wird nicht einfach über Fakten informiert. Er wird direkt als Person angesprochen, als säße er dem Autor gegenüber. Jahrzehntelang als Lehrender erfolgreich, schafft es der Autor mit diesem Trick, sofort die Angst vor der Komplexität des Themas zu nehmen. Ergänzt durch raffiniert gewählte Anschauungsbilder, die vom ersten Kapitel an fesseln. Denn wer rechnet schon mit Brokkoli und Bäumen als Erklärungshilfen, als „Eselsbrücken“ zum hochkomplexen Thema „Seele und Seelen-Leben“?

Leitfaden und erkennbare Intention des Buches ist es, einen Beitrag zur Neuorientierung und Unterstützung „menschenwürdiger“ Entwicklungen im medizinischen, therapeutischen, aber auch allgemein gesellschaftlichen Umfeld zu leisten. Es ist eine inhaltlich erstaunliche, dramaturgisch gekonnt aufgebaute Lektüre über die atemberaubende Komplexität von Körper, Geist und Seele – Wissenstransfer und Wissensvermittlung vom Feinsten.

Der Autor – Psychoneuroimmunologe, Psychologe, Mediziner und Wissenschaftler – versteht es mit großer Leichtigkeit, den sehr respektvoll behandelten Leser dialogisch ins Boot zu holen, ihn an der Hand zu nehmen und durch das überaus komplizierte Dickicht mathematischer, medizinischer, psychologischer und therapeutischer Besonderheiten zu führen.

Was ist die Seele? Was macht sie aus? Können wir sie erkennen, fühlen, spüren? Religiös determinierte, orthodox geprägte Menschen werden nicht in Glückseligkeit erschauern, ob der pragmatisch anmutenden Annäherung an dieses Kernthema unseres Daseins. Ob daher der Buch-Titel eine bewusste Provokation ist oder nicht, ist unerheblich. Das Buch nimmt völlig andere, äußerst spannende Rahmensetzungen vor und wird dadurch zu einer lehrreichen und gleichzeitig sehr aufschlussreichen Abhandlung der Wechselwirkungen von Gedanken und Ereignissen auf unser körperliches und seelisches Wohlbefinden.

Letztendlich ertappt man sich dabei, den bei den eindrucksvollen Fall-Beispielen ansatzweise immer wieder durchscheinenden Therapie-Ansatz des ärztlichen Psychotherapeuten und Psychologen in eigene Erlebnisse hinein zu beamen. In der eigenen Biographie und jener von Freunden „Selbstähnlichkeiten“ zu finden. Das macht betroffen. Wird aber gleichzeitig so plausibel aufgelöst, dass es schon wieder beruhigend ist.

Das Buch ist kein Leitfaden zur Selbsttherapie. Vielmehr ist es eine aufregende Reise in eine Welt des universellen Netzwerkes, an dem auch wir teilhaben. Aufschlussreich für Wissende, fesselnd für solche, die sich erstmals mit „Ganzheitlichkeit“ und biopsychosoziale Komponenten befassen. Der Zugang zum Phänomen Mensch, den der Autor wählte, hochinteressant für Ärzte, Mediziner, Therapeuten oder Psychologen. Speziell der zum Ausdruck kommende holistische Ansatz könnte man als ethischen Conditio sine qua non bezeichnen. In diese Gedankenwelt „passt“ schließlich auch der an der Uni Innsbruck entwickelte neue „Goldstandard“ für ein Forschungsdesigns: die „integrativen Einzelfallstudie“. Allerorten neue Pfade zum Erkenntniszugewinn.

Das lässige Selbstbewusstsein des Autors, das manchmal aufblitzt, ist seinem mehr als bemerkenswerten Wissen und seiner holistischen Überzeugung geschuldet, seiner Präsenz – ob im Lehrsaal oder im TV-Studio. Nachdenklich, offen und reflexionsstark, verbunden mit einem deutsch-österreichisch durchwirkten Charme. Kämpferisch und haltungsstark, wenn es um Kernfragen des ganzheitlichen Ansatzes geht. Er ist zweifelsfrei einer, der beides beherrscht: Dialog und Diskurs.

Kurzum: Ein meisterliches Werk der Reduktion von Komplexität. Spannend. Fesselnd. Ein Muss.

Ein Buch mit Mehr-Wert:

„Geometrie der Seele. Wie unbewusste Muster das Drehbuch unseres Lebens bestimmen“, von Univ.-Prof. DDr. Christian Schubert, aufgezeichnet von Dr. Diane Zilliges, Verlag Gräfe und Unzer, ISBN 978–3-8338-8831-1, 2023, 207 Seiten, München.

(1) Univ.-Prof. DDr. Christian Schubert erforscht seit über 25 Jahren die Wechselwirkungen von Psyche, Gehirn und Immunsystem. Er ist Leiter des Labors für Psychoneuroimmunologie am Department für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Medizinische Psychologie der Medizinischen Universität Innsbruck und Autor zahlreicher Fachpublikationen. Einem breiteren Publikum bekannt wurde er durch Auftritte in TV und Hörfunk, in denen er seine Kritik an der „Maschinen-Medizin“ begründete und sein Nein zu medizinischen Experimenten an Menschen.

(2) Prof. Dr. Benoit Mandelbrot, herausragender Mathematiker polnischer Abstammung, tätig in Frankreich und den USA. Zur Lösung vieler mathematischer Probleme, insbesondere in der theoretischen Physik, lieferte er entscheidende Beiträge. Am bekanntesten wurde er als Vater der fraktalen Geometrie. (+ 2010 in Cambridge, Massachusetts).

(3) DDr. Johannes Huber, österreichischer Arzt, spezialisiert auf Frauenheilkunde und Geburtenhilfe. Er studierte Medizin und Theologie. Seit 2004 a.o. Professor der Medizinischen Universität Wien. Ehemaliger Vorsitzender der Bioethik-Kommission. Autor zahlreicher Bücher, wie z.B. Das Holistische Menschenbild, Es existiert u.v.m.

(4) Dr. Peter Sloterdijk, deutscher Philosoph, Kulturwissenschaftler und Publizist. Lehrte bis 2017 Philosophie und Ästhetik an der Staatlichen Hochschule in Karlsruhe. Autor zahlreicher Bücher, wie z.B. Du musst dein Leben ändern, Die Reue des Prometheus: Von der Gabe des Feuers zur globalen Brandstiftung u.v.m.

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