Julian Assange ist seit Jahren ein Gefangener. Doch sein Ankläger ist nicht das Recht, sondern die mächtigste Nation der Welt. Und sein Verbrechen ist die Wahrheit.
„Wenn das Aufdecken von Verbrechen wie ein begangenes Verbrechen behandelt wird, werden wir von Verbrechern regiert.“ (Edward Snowden)
Assange ist Mathematiker, Computerprogrammierer, investigativer Journalist und WikiLeaks-Gründer. Zahlreiche Auszeichnungen, darunter eine siebenfache Nominierung für den Friedensnobelpreis, zeigen das Ausmaß seines Wirkens.
Das Besondere an der 2006 entstandenen Enthüllungsplattform WikiLeaks ist nicht nur die Veröffentlichung vertuschter Informationen, sondern auch der Schutz der Whistleblower. Durch ein sicheres Übertragungssystem können ihre Informationen nicht zu ihnen zurück verfolgt und dennoch unzensiert veröffentlicht werden.
Besonders die USA, die sich gern als Retter der Welt präsentiert und somit ihre kriegerischen Handlungen rechtfertigt, schockierte 2010 die Welt durch auf WikiLeaks veröffentlichte Beweise für deren Kriegsverbrechen in Afghanistan und im Irak.
Fünf große Zeitungsredaktionen (New York Times, Guardian, Le Monde, Spiegel und El País) publizierten in Zusammenarbeit mit WikiLeaks zudem geheime Dokumente: „Die diplomatischen Depeschen, eine Sammlung von 251.000 vertraulichen Nachrichten des US-Außenministeriums, entlarvte Korruptionen, diplomatische Skandale und Spionageaffären von internationalem Ausmaß.“ (Quelle: Spiegel)
Julian Assange riss damit der großen Nation die Maske der moralischen Unbescholtenheit herunter, und hinter der Fassade kam kriegslüsterne Machtbesessenheit zum Vorschein. Deren Rache ist seitdem unbarmherzig und sie soll vor allem eins – „Nachahmungstäter“ abschrecken.
„Die überwiegende Mehrheit von geheimen Informationen werden deswegen geheim gehalten, um politische Sicherheit und nicht um nationale Sicherheit zu schützen.“ (Julian Assange)
Assange wurde in Großbritannien zuerst unter Hausarrest gestellt, während man nach Gründen für eine Strafverfolgung suchte. Prompt kamen Vergewaltigungsvorwürfe aus Schweden – ohne Strafanzeige von Seiten der betroffenen Frauen –, die mittlerweile vom UN-Sonderbeauftragten für Folter entkräftet wurden. Ein zerstörter Ruf würde einen weltweiten Widerstand bei seiner Verhaftung verstummen lassen und den menschenrechtsunwürdigen Umgang mit ihm legitimieren – so vermutlich die dahinterliegende Idee dieser unhaltbaren Verleumdungsreden.
2012 fand Assange Schutz in der Botschaft von Ecuador, wo er sieben Jahre lang lebte, ohne je vor die Türe gehen zu können. 2017, als die Regierung Ecuadors wechselte, wurde die Sicherheitsfirma, die Assange eigentlich schützen sollte, korrumpiert. Geheime Mikrophone und Kameras wurden in der Botschaft installiert und von der CIA sämtliche Unterhaltungen (inkl. vertrauliche Anwalts- und Arztgespräche) abgehört und all seine Bewegungen beobachtet. 2019 wurde Assange plötzlich der Asylstatus ohne Gerichtsverfahren aberkannt. Sofort wurde er von der Britischen Polizei gewaltsam aus der Botschaft entführt und in das berüchtigte Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh gebracht, wo er seit mittlerweile vier Jahren in einer 6 Quadratmeter winzigen Zelle und mit minimalem menschlichen Kontakt auf seine Auslieferung in die USA wartet. Dort drohen ihm 175 Jahre Haft, möglicherweise sogar die Todesstrafe – wegen Spionage, das neuartige Wort für Journalismus.
Ein Schwerstverbrecher also, der sich „Wahrheitsverkündung“ zuschulden kommen ließ. Ein Freigeist, der seit 2010 in einen immer kleineren Käfig gesperrt wurde und für den die Menschenrechte nicht gelten, weil er US-Kriegsverbrechen aufdeckte, die zugedeckt bleiben sollten.
Selbst diplomatische Bemühungen von Australiens Premier Anthony Albanese, der die Bestrafung als unverhältnismäßig ansieht, konnten die USA nicht dazu bringen, von ihrem Staatsfeind abzulassen. Zur Verhaftung des Journalisten des Wall Street Journals Evan Gershkovich in Russland äußerte sich Präsident Joe Biden hingegen kürzlich mit den bedeutungsvollen Worten: „Journalismus ist kein Verbrechen“.
Während die wahren Verbrecher frei herumlaufen und den Aufdecker ihrer Gräueltaten gefangen halten, verschlechtert sich der Gesundheitszustand des 51jährigen Julian Assange immer mehr. Dennoch: „Wenn ich ihn sehe, bin ich immer wieder erstaunt über seine Fähigkeit, weiter zu kämpfen. Der Kampfgeist, dieselbe Flamme existiert immer noch in ihm“, sagte sein Bruder Gabriel Shipton letzten Monat in einem Interview. „Die ganze Unterstützung, diese globale Welle der Unterstützung. Das ist es, was ihn wirklich aufrichtet in diesem Höllenloch.“
In diesem „Höllenloch“ säßen die „Schlimmsten der Schlimmen“, berichtete der Australische Abgeordnete Andrew Wilkie, nachdem er Assange vor einem Jahr dort besucht hatte. Er wäre überaus beunruhigt über die Bedingungen, in denen sich der Gefangene befände. Wilkie spricht sich klar für ein Ende der Verfolgung des WikiLeaks-Gründers aus, plädiert aber an die verantwortlichen Regierungen, dieses Gefängnis wenigstens durch eine Fußfessel zu ersetzen, damit er mit seinen beiden Söhnen (die ihn bisher noch nie in Freiheit erlebt haben) und seiner Frau Stella zusammen sein könne, denn „dieser Mann hat genug gelitten“.
„In 20 Jahren Arbeit mit Opfern von Krieg, Gewalt und politischer Verfolgung habe ich noch nie erlebt, dass sich eine Gruppe demokratischer Staaten zusammengetan hat, um eine einzelne Person über einen so langen Zeitraum und mit so wenig Rücksicht auf die Menschenwürde und die Rechtsstaatlichkeit absichtlich zu isolieren, zu dämonisieren und zu misshandeln.“ (Prof. Nils Melzer, ehem. UN-Sonderberichterstatter für Folter und Menschenrechtsverletzungen)
„Wenn wir die Welt befreien wollen, müssen wir Assange befreien.“ (Edward Snowden)
Nun dient Assange als abschreckendes Beispiel für andere unbeeinflussbare Journalisten – ihr Aufwand ist ein klares Zeichen dafür, wie mächtig und wichtig unsere Arbeit ist.
Wie der Spiegel am 23.2.23 berichtete, erleben auch die Unterstützer von Assange auffällig viele beunruhigende Begebenheiten – Einbrüche, Observationen, Abhöraktionen, geöffnete, vertrauliche Post, verschwundene Daten und Laptops.
Pressefreiheit muss in einer freien Gesellschaft unbeschränkt möglich, die Meinungsfreiheit gewahrt sein. Solange das nicht gewährleistet ist, entzieht man nicht nur Assange, sondern uns allen die Freiheit. Die Angst vor Verfolgung, die Journalisten und Whistleblower abhalten soll, unliebsame Wahrheiten zu veröffentlichen, bedroht also nicht nur die Pressefreiheit, sondern die gesamte Demokratie, in der das kritische Hinterfragen staatlicher Entscheidungen sowie das Aufdecken verbrecherischer Machenschaften von Regierenden eine Hauptaufgabe der Medien ist.
„Dennoch, so mag man fragen, warum so viele Worte auf Assange verwenden, wenn doch unzählige andere weltweit gefoltert werden? Weil es hier nicht nur darum geht, Assange zu schützen, sondern einen Präzedenzfall zu verhindern, der durchaus das Schicksal westlicher Demokratie besiegeln könnte. Denn, wenn es einmal zu einem Verbrechen geworden ist, die Wahrheit zu sagen, während die Mächtigen Straflosigkeit genießen, dann wird es zu spät sein, den Kurs zu korrigieren. Dann werden wir unsere Stimme der Zensur unterworfen haben und unser Schicksal der ungezügelten Tyrannei.“ (Prof. Nils Melzer, ehem. UN-Sonderberichterstatter für Folter und Menschenrechtsverletzungen)
Unser Schweigen tötet den Mann, der nicht geschwiegen hat. Wir sollten den überholten Gedanken loslassen, dass wir allein nichts ausrichten können. Wir sind nicht allein – wir sind sogar sehr viele, und wir können viel erreichen!
Assange war 24 Stunden pro Tag in Isolationshaft, im „Höllentrakt“, wie ihn die Gefangenen in Belmarsh nennen. Diese haben durch Petitionen erreicht, dass er in einen anderen, etwas weniger grausamen Trakt verlegt wird und dort „nur“ mehr 20 Stunden in seiner Zelle verbringen muss.
Sein Bruder schildert darüber: „Dinge ändern sich nicht von oben nach unten. Es ist immer eine Veränderung von unten nach oben. Und in dieser Situation waren es die Gefangenen. Nicht die hochbezahlten Anwälte. Es waren nicht die Politiker oder die Staatsoberhäupter oder sonst jemand, die Julians Lebensumstände verändert haben. Es waren die Menschen um ihn herum. Und das ist für mich das perfekte Beispiel dafür, was Julian aus dem Gefängnis holen wird, was ihn befreien wird. Es ist die Bewegung, die er geschaffen hat, die Bewegung für Transparenz in Regierungen, für Gerechtigkeit. Das sind die Leute, die Julian letztendlich befreien werden.“
Zahlreiche Organisationen kämpfen weltweit unermüdlich für Assanges Freilassung – auch hierzulande. In Wien gibt es seit mehr als drei Jahren wöchentlich (!) eine Mahnwache, organisiert von Candles4Assange Vienna, immer mittwochs zwischen 17 und 19 Uhr am Herbert-von-Karajan-Platz vor der Wiener Staatsoper. „Wir sind eine Gruppe besorgter Einzelpersonen, die sich dafür einsetzen, die Öffentlichkeit über die Bedeutung des Assange-Falls für die Pressefreiheit und unser Recht auf Information in Kenntnis zu setzen. Der Missbrauch, den Julian erfahren hat, und die scheinbare Unfähigkeit der Autoritäten in den relevanten Ländern, sich für das Richtige einzusetzen, empören uns“, schrieb mir eine der Organisatorinnen der Wiener Mahnwache.
Monatlich schicken sie einen Brief an die britische Regierung, der die Freilassung von Assange fordert und inzwischen Hunderte von Unterschriften enthält.
Sie können sich ebenfalls daran beteiligen und mithelfen, eine Veränderung zu bewirken! Drucken Sie die Unterschriftenliste aus, legen Sie sie all ihren Freunden, Bekannten, Familienmitgliedern und Nachbarn vor und mailen sie danach an candles4assangevienna@gmail.com.
Die dazugehörigen Schreiben an die britische Regierung finden Sie hier:
Notieren sollten Sie sich außerdem die Woche vom 19. bis 26. Juni 2023. In diesem Zeitraum kann das Volksbegehren „Staatsbürgerschaft für Folteropfer“ unterzeichnet werden. „Whistleblower, die für Demokratie und Pressefreiheit kämpfen und deshalb als politische Gefangene Folter durch fremde Regierungen ausgesetzt sind oder waren, sollen die Staatsbürgerschaft durch Änderung der Bundesverfassung erhalten können. Das Folteropfer hat Rechtsanspruch auf die Verleihung, wenn ein UN-Sonderberichterstatter das Vorliegen von Folter bestätigt. Der Antrag dazu kann auch gestellt werden, wenn sich das Folteropfer in Haft des Drittstaates befindet“, wird in diesem Volksbegehren gefordert. Ist die Formulierung auch allgemein gehalten, so dachten die Initiatoren dabei hauptsächlich an Julian Assange. (Weitere Informationen dazu finden Sie bei tkp.)
„Ich kann mich nicht selbst wehren und zähle auf dich und andere Menschen mit gutem Charakter, um mein Leben zu retten. Letztendlich haben wir nichts als die Wahrheit.“(Julian Assange 2019 in einem Brief an den unabhängigen britischen Journalisten Gordon Dimmack)
Quellen:
ABC News: Anthony Albanese speaks about frustration over unsuccessful attempts at diplomacy with the US to free Julian Assange; Steve Cannane, 5.5.23
Better Way Media Conference: Free Press – Free Assange!
Die Presse: WikiLeaks: „Klare Beweise für Kriegsverbrechen“; 23.10.10
International Federation of Journalists: Free Assange now!
NachDenkSeiten: Der Folterung von Julian Assange die Maske herunterreißen; 08.07.19
NachDenkSeiten: Julian Assange mittlerweile seit vier Jahren unter grausamen Bedingungen im Gefängnis; Moritz Müller, 11.04.23
NachDenkSeiten: Menschenkette um das Parlament in London und deutsche Premiere von Film über Julian Assange, 6.10.22
Spiegel: Jagt die CIA Assanges Unterstützer?; Jens Glüsing und Jörg Schindler, 23.2.23
Spiegel: Journalismus ist kein Verbrechen; 28.11.22
Spiegel: WikiLeaks-Gründer Assange leidet in Haft zunehmend unter gesundheitlichen Problemen; 4.4.23
stattzeitung: Free Assange
Süddeutsche Zeitung: Klare Beweise für Kriegsverbrechen; 24.10.10
The Guardian: Julian Assange: Australian MPs urge US ambassador to end extradition bid; Daniel Hurst, 9.5.23
tkp: Österreichische Staatsbürgerschaft für Julian Assange?!; Andrea Drescher, 24.3.23
Whistleblower Netzwerk: Einschüchterungsversuche bei Unterstützern von Julian Assange; Kosmas Zittel, 27.2.23
World Socialist Web Site: „Letztendlich haben wir nichts als die Wahrheit“: Julian Assange bittet Öffentlichkeit um Unterstützung; Oscar Grenfell, 27.5.19
YouTube: Der Fall Assange – sein Bruder packt aus (Gabriel Shipton); Marc Friedrich, 2.4.23
YouTube: I received a letter from Julian Assange; Gordon Dimmack, 24.5.19
YouTube: Nils Melzer / UN-Sonderberichterstatter über Folter & Julian Assange; Jung & Naiv, 9.8.21
YouTube: Over 1800 journalists from 107 countries speak up for Assange; Journalists Speak Up For Assange, 30.5.22
YouTube: Politician calls on Australia’s Prime Minister to free Julian Assange; 60 Minutes Australia
Wichtige Links:
Bildquelle: Candles4Assange Vienna