Es war Sonntag, der 4. Dezember, als in Oberösterreich, im idyllischen Städtchen Steyr, die Menschen zum 100. Mal in Folge (!) auf die Straße gingen und Zusammenhalt gegen die selbsternannten Mächtigen zeigten. Der 1. offizielle Spaziergang fand am 10. Jänner 2021 statt, und seither wird jeden Sonntag gemeinsam spaziert. Wahrlich ein Grund, stolz zu sein und zu feiern! Doch nicht jedem schmeckt diese friedliche Beharrlichkeit. Das unbeugsamste Städtchen Österreichs soll gebeugt werden.
RESPEKT hat die Veranstalterin der Steyrer Spaziergänge, Sabine Brandner, zu einem Gespräch gebeten.
Kürzlich fand im Steyrer Gemeinderat eine Sitzung statt, um den „rechten Dunstkreis“ zu beenden. Argumentiert wurde mit Lärmbelästigung und Störung der Sonntagsruhe durch unerträgliche Parolen und Symbole, der Behinderung des öffentlichen Verkehrs und der Bewegungsfreiheit der Menschen, die nicht an den Spaziergängen teilnehmen würden. Kinder seien verängstigt, würden am Schlafen gehindert und seien bereits so traumatisiert, dass sie sich auch an allen anderen Tagen in der Woche um die Uhrzeit fürchten und weinen würden.
Liebe Sabine, das klingt grauenhaft! Was sind denn das für „kindererschreckende“ Menschen, die zu euren Spaziergängen kommen?
Es sind jung bis alt, Österreicher und Nicht-Österreicher, ein Querschnitt der Bevölkerung. Die Jüngste ist schon im Bauch mit marschiert, ist jetzt circa eineinhalb Jahre alt und hat immer viel Spaß bei den Spaziergängen. Immer wieder stehen Kinder an den Fenstern und winken dem Demozug zu. Wir gehen um 18 h los bis längstens 20 Uhr, da schlafen die meisten Kinder noch nicht.
Ein weiteres Argument in der Sitzung war, dass in alten Menschen schreckliche Kriegserinnerungen hervorgerufen würden. Die Aussage der FPÖ, dass die Spaziergänger selbst „Opfer einer faschistischen Machenschaft“ durch die Ereignisse der letzten drei Jahre wurden, löste hingegen Empörung im Steyrer Gemeinderat aus. Eure Spaziergänge wurden tatsächlich mit den 30er Jahren verglichen. Gleichzeitig war zu vernehmen: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg. Wehret den Anfängen!
Sabine, seid ihr euch da nicht eigentlich einig? Ist das nicht genau der Grund, warum ihr auf die Straße geht?
Absolut einig. Wir sind für Demokratie und für das Mitspracherecht des Volkes. In Wahrheit betreiben sie eine Schuldumkehr – was sie praktizieren, werfen sie uns vor.
Weil man mir „Nazitum“ vorwirft – mein Großvater war Jude, meine beiden Kinder sind dunkelhäutig und ich war früher bei einer Flüchtlingsbewegung sehr aktiv.
Darf man so einfach behaupten, friedliche Spaziergänger wären Rechtsradikale und Nazis? Müsste man eine solch schwerwiegende Anschuldigung nicht auch belegen können? Habt ihr euch schon überlegt, diese Verhetzung anzuzeigen?
Ja, haben wir, aber dazu sollten wir mehr Leute sein, damit es mehr ins Gewicht fällt und nicht unter den Teppich gekehrt werden kann. Doch viele trauen sich nicht oder glauben nicht, dass es etwas bringen würde.
Die auf des Volkes Wohl bedachten Politiker deuteten auch die Lösung für das Problem an – die Meinung durch das Demonstrationsrecht dort zu „äußern“, wo sie nicht stört – sprich, nicht gehört wird – oder geräuschlos zu bleiben.
Eine Demonstration bedeutet, anderen zu demonstrieren, also zu zeigen, dass man mit etwas nicht einverstanden ist. Das dient nicht dazu, Menschen zu ärgern, sondern sie gegebenenfalls zu überzeugen, in dem man sie auf einen Missstand aufmerksam macht und durch Parolen, Banner und ähnliches über die Beweggründe informiert. Ein stiller Spaziergang (vielleicht sogar außerhalb der Zivilisation und damit außer Sicht) widerspricht dem eigentlichen Wesen einer Demonstration. Wäre das für euch eine Option, bei euren Spaziergängen zu schweigen oder die „unerträglichen“ Parolen zu flüstern?
Nein, wir halten uns an die Lautstärkenbeschränkung von 85 Dezibel. Es dauert gerade einmal eine bis sechs Minuten, bis der Menschenzug an einem Haus vorüber geht. Die Lärmbelästigung ist also nur von sehr kurzer Dauer und bei geschlossenen Fenstern nicht oder nur kaum zu hören.
Doch es geht eigentlich darum, das Demonstrationsrecht zu beschränken. Die Stimme des Volkes wollen sie nicht hören. Sie ist für unsere Politiker uninteressant, wenn sie nicht mit ihrer eigenen Stimme übereinstimmt.
Ich nehme doch an, dass du dir einen Erfolg von den Spaziergängen erwartest, wenn du sie seit zwei Jahren organisierst und seit dem jeden Sonntag auf die Straße gehst. Wie könnte/sollte dieser Erfolg deiner Meinung nach aussehen?
Erfolg bringen Demonstrationen auf jeden Fall. Man sieht es daran, dass die Impfpflicht zurückgezogen wurde, durch die sehr viele Menschen an den Demonstrationen teilgenommen haben – in Steyr wurden etwa 15.000 zu dieser Zeit gezählt. Und jetzt geht es noch um viel mehr. Vielen Menschen ist nicht klar, was es bedeutet, dass der Gesundheitsminister allein entscheiden kann, dass man mit einem Schnupfen oder vielleicht sogar, wenn er es für nötig hält, mit einem Hühnerauge zu Hause bleiben muss. Es geht jetzt auch um den Frieden, um unsere Neutralität. Die Teuerung ist immens und soll in Enteignungen führen. So lange die Menschen mitspielen, so lange schlittern wir immer tiefer hinein.
Das System ist krank! Wenn wir jetzt nicht aufstehen und Nein sagen, enden wir in einer kontrollierbaren Gesellschaft und müssen sozusagen alle mit „Fußfesseln“ leben, und wenn wir nicht brav sind, bekommen wir „Privilegien“ gestrichen, wie Butter einkaufen zu dürfen. Ich sage immer: Nein ist ein ganzer Satz! Es braucht keine Begründung, keine Rechtfertigung. Das Wort steht für sich. Doch wenn nicht mehr Menschen Nein sagen und für ihre Freiheit einstehen, sehe ich wenig Hoffnung.
Die Spaziergänger sind offenbar die ungemütlichen Rebellen, die zwar alle Demonstrationen ordnungsgemäß angemeldet haben und sich an die Vorgaben halten, aber dennoch nicht leicht zu übersehen sind und sich weder täuschen noch unterdrücken lassen. Die Demonstration der Vielen hinterlässt einen Eindruck – vor allem, wenn diese friedlich bleibt und keine Bilder der Gewalt liefert. Mit diesem politischen Gegenwind die Veranstaltungen zu organisieren und auch noch Gesicht zu zeigen, verlangt Mut und Durchhaltevermögen – Stärken, die selten das Profil eines Politikers abrunden.
Es wird häufig behauptet, man würde von staatlicher Seite nicht wahrgenommen. Die momentane Reaktion der Politiker in Steyr zeigt ein anderes Bild. Die Spaziergänger werden bemerkt und sind eine Diskussion wert, zu deren Argumenten man sich im Vorfeld Gedanken gemacht haben muss. Von Einsicht ist dennoch wenig zu sehen. Stattdessen möchte man uns glauben machen, die C-Krise wäre vorbei und man hätte uns mit den menschenrechtsverletzenden Maßnahmen gerettet. Jetzt sollten wir – die Überlebenden der Pandemie – dankbar sein, und es gäbe keinen Grund, dies alles noch einmal zu diskutieren.
Doch solange nicht frei über die Folgen der Maßnahmen und deren Überprüfung ihrer angeblichen Alternativlosigkeit und wissenschaftlichen Beweisbarkeit gesprochen werden kann, gibt es Gründe, auf die Straße zu gehen. Die Meinungsfreiheit wird ganz offensichtlich nach wie vor nicht akzeptiert. Auch die Absagen der zuerst genehmigten Veranstaltungen in Steyr von Dr. Maria Hubmer-Mogg und ihrer Resilienz-Tour und dem Historiker und Friedensforscher Dr. Daniele Ganser sprechen dafür. Wissenschaftliche Meinungen führen heutzutage zu einer „Spaltung der Gesellschaft“ – die Begründung, um renommierte Forscher am öffentlichen Reden zu hindern.
Sabine, wie siehst du diese Absagen, die Schikanen gegenüber den Spaziergängern und deren Verleumdungen durch den Vergleich mit den 30er Jahren? Werden die Politiker nervös oder dreister?
Teils, teil. Es gibt Politiker, die systemhörig sind und andere, die dem nicht zustimmen, sich aber nicht trauen, sich dagegen aufzulehnen. Nervös werden sie auf jeden Fall, weil sie ihre Agenda nicht so durchsetzen können, wie sie es gern hätten. Deshalb erhalten die Menschen ja auch immer wieder „Zuckerln“, wie Klimabonus, das Aussetzen der C-Maßnahmen usw. Aber die Dreistigkeit nimmt sicherlich ebenfalls zu.
Wie läuft nun so ein Steyrer Spaziergang ab? Er findet nicht statt, wenn die angeblich ängstlichen Kinder vom Schulweg nach Hause kommen, sondern sonntags. Man ist auch nicht an einer Stelle angewachsen, sondern – wie der Name schon vermuten lässt – spaziert weiter und „terrorisiert“ die Anrainer daher nur minutenlang im Vorbeigehen. Und man marschiert auch nicht um Mitternacht, sondern zwischen 18 und 20 Uhr.
Wie ist dein Eindruck bei den Spaziergängen? Fühlen sich die Anrainer tatsächlich terrorisiert und traumatisiert durch euch?
Jede Woche gehen wir eine andere Strecke. Wir sind also circa jede 3. bis 6. Woche im gleichen Stadtteil unterwegs und da gehen wir auch nicht die gleichen Routen.
Sehr viele Menschen, die nicht an den Spaziergängen teilnehmen, sind uns wohlgesonnen und winken uns von den Fenstern und Balkonen aus zu.
Beim Altenheim sind wir absolut still. Da gibt es kein Schreien, kein Trommeln, kein Pfeifen, nichts. Einmal ist dort ein Tumult ausgebrochen, über den ich mich sehr gewundert habe. Bis ich gesehen hab, dass die Mitarbeiter des Altenheims inklusive einiger alter Menschen gejubelt und gegrölt haben, um sich bei uns zu bedanken. Man rief: „Danke, dass ihr auch für uns auf die Straße geht!“
Was für ein wundervoller Schlusssatz – wir schließen uns an: Danke, dass ihr auch für uns auf die Straße geht!
Quellen:
- Leho Naku: Red ma drüber – Feiner Unterschied zwischen braven Stadtpolitiker und kritischen Bürger
- Report24: Skandal-Absage von Malone / Hubmer-Mogg Event: Anwalt erklärt Stadt Steyr die Rechtslage
- Report24: Steyr-Demo-Veranstalterin Sabine Brandner über 100 Kundgebungen und viele Anfeindungen; 14.01.23
- RTV Regionalfernsehen: 100. Spaziergang in Steyr
- RTV Regionalfernsehen: Nächste Skandal-Absage: Dr. Daniele Ganser darf nicht im Steyrer Stadttheater auftreten
- RTV Regionalfernsehen: Steyrer Spaziergänger” waren Thema im Steyrer Gemeinderat
- RTV Regionalfernsehen: Werden die “Steyrer Spaziergänger” systematisch diffamiert?