Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges, egal, ob es sich um einen heißen oder einen kalten oder „bloß“ um einen Propagandakrieg handelt. Die Wahrheit ist auch eine Tochter der Zeit. Die eine Wahrheit existiert also nicht, sie ist das Resultat von Wahrnehmungen und die sind ja selbst dann, wenn man ein und dieselbe Situation betrachtet, grundverschieden. Diese Tatsache hat uns der österreichische Kommunikationsexperte Paul Watzlawick mit seinem Werk „Wie wirklich ist die Wirklichkeit“ eindrücklich vor Augen geführt.
Dem aufmerksamen und sensiblen Beobachter des (Welt-)Geschehens wird schnell bewusst, dass da, wo die eine Wahrheit beschworen wird, etwas nicht stimmen kann. In den letzten beiden Jahren hatten wir besonders intensiv die Möglichkeit, unseren Wahrheitskompass – man könnte ihn auch Hausverstand nennen – zu eichen. Ging es zuerst um ein neues Virus, von dem bis heute unklar ist, wie es tatsächlich in die Welt gelangt ist (auch hier existieren ja zumindest zwei „Wahrheiten“), wurden wir recht bald mit der Alternativlosigkeit von Maßnahmen konfrontiert, wie wir uns gegen diese Bedrohung erfolgreich zur Wehr setzen können. Die Historie der Impfwirkungen ist dafür beredtes Beispiel. Sehr bald stellte sich dann wieder eine durch dieses Ereignis unterbrochene Debatte um den Klimawandel ein. Vor wenigen Monaten kam dann der Ukraine-Russland-Konflikt in eine heiße Phase, dem nun eine Menge an Auswirkungen – von den Preissteigerungen im Energie- und Lebensmittelsektor bis zu einem möglichen „kalten“ Winter – in die Schuhe geschoben werden können. Und dann gibt es – wie sich aktuell am Beispiel der tragisch verstorbenen oberösterreichischen Ärztin (siehe Meldungen der Woche) erkennen lässt – „Wahrheiten“ über Personen, die einfach mal so in die Welt gesetzt werden – und die wirken, egal, ob sie den Tatsachen entsprechen oder nicht. Auch lassen sich Ereignisse wie dieses gut instrumentalisieren, um der eigenen „Wahrheit“ zum Durchbruch zu verhelfen.
„Es ist alles sehr kompliziert“, soll ein österreichischer Bundeskanzler gesagt haben. Damit hat er wohl die Komplexität von so genannten politischen Sachverhalten angesprochen und ein Augenmerk auf die Herausforderung einer differenzierten Sichtweise und Entscheidungsfindung gelegt. Dies gilt aber nicht nur im Großen, sondern – wenn wir ehrlich sind – ganz bestimmt auch im Kleinen, also im Persönlichen.
Und so ist auch hier einmal mehr wieder jede und jeder gefordert, an den Schrauben der eigenen Persönlichkeit zu drehen und an seiner eigenen Weiterentwicklung zu einem ganzen Menschen zu arbeiten, der bereit ist, „Wahrheiten“ zu relativieren und seine eigene Sichtweise als eine Möglichkeit zu erkennen, der andere folgen können oder auch nicht. Der Respekt voreinander gebietet es zudem, Andersdenkende nicht abzukanzeln sondern ihnen die eigene „Wahrheit“ entgegen zu setzen, durchaus klar und deutlich, aber niemals mit jener Überheblichkeit, sie absolut gepachtet zu haben.
Gerade in Zeiten wie diesen können wir diesbezüglich eine Menge lernen. Und – um nochmals auf den Fall jener Ärztin zu sprechen zu kommen: Den Sachverhalt so gut wie möglich aufzuklären, ist das eine, vor allem wenn es im öffentlichen Interesse liegt, die Ereignisse oder die Person zu instrumentalisieren, etwas anderes; nämlich ein No Go!
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Österreich einen Bundespräsidenten braucht, der die Verfassung beherzt und kompetent vor den Übergriffen machtgeiler Politiker, Institutionen und sonstiger „Player“ schützt und damit den Menschen-, Grund- und Freiheitsrechten jenen Status zum Schutz der Österreicher gibt, der ihnen per se zusteht.