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Für Freiheit, Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit

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Meinungsbildung: Ein kritischer Blick auf die Kritiklosigkeit

Ist es tatsächlich so schwer, sich eine eigene Meinung zu bilden? Und ist es unmöglich, auch andere Ansichten existieren zu lassen? Die Sturheit all jener, die ihre Meinung keiner kritischen Überprüfung unterziehen, ist nicht neu, doch derzeit offensichtlicher als sonst. Das hat mich dazu veranlasst, die Spur der Meinungsbildung zu verfolgen.

In einer reifen Gesellschaft – für die wir unsere halten – sollte es möglich sein, sich andere Meinungen anzuhören und diese zu akzeptieren. Doch die Toleranzgrenze ist dort, wo Zustimmung und Verständnis enden, wo doch Toleranz seiner Definition nach eigentlich beginnen sollte. Mark Twain drückte das sehr treffend aus: „Wir schätzen die Menschen, die frisch und offen ihre Meinung sagen – vorausgesetzt, sie meinen dasselbe wie wir.“

Doch warum ist das so? Woher haben die Menschen Meinungen, die sie so vehement verteidigen und sogar Freundschaften und Freiheiten dafür opfern?

„Eine eigene Meinung ist ein Luxus, den sich nicht viele Menschen leisten.“ 

(Alfred Polgar, 1873 – 1955, österr. Schriftsteller)

Wir glauben immer, wir hätten uns unsere Meinungen selbst gebildet und übersehen dabei, dass wir bereits seit dem ersten Lebenstag durch Familie und Freunde, die Gesellschaft und nicht zuletzt durch die Medien beeinflusst werden. Ein Mensch am anderen Ende der Welt hat andere Ansichten, ebenso wie jemand aus einem anderen Jahrhundert. Meinungen sind also vielfältig und wandelbar. 

Die meisten legen ihre natürliche Neugier bereits in der Schule ab und fügen sich in das präsentierte System und deren Glaubensmuster – einfach, weil es alle anderen auch tun. „Das ist halt so“ ist eine beliebte, inhaltlose Rechtfertigung. Der Drang, einer Gruppe anzugehören und anerkannt zu werden ist stärker als der rebellische Geist, der uns nur in Schwierigkeiten bringt. Wenn wir die Schule verlassen, haben wir gelernt, dass es nur eine einzige Wahrheit gibt, die uns von angeblichen Experten beigebracht wird. Von dort begeben wir uns meist direkt in die nächste Abhängigkeit einer festen Anstellung, in der wir uns auch schnell angewöhnen, zu tun, was man uns sagt. Kommen wir abends nach einem langen Arbeitstag nach Hause, an dem wir unsere Kreativität gegen Folgsamkeit eingetauscht haben, sind wir zu müde, um unseren Geist nun zu aktivieren und Gegebenheiten zu hinterfragen, die ohnehin „halt so sind“.

Der Mut, den ein Ausbruch aus diesem Hamsterrad erfordert, ist nicht nur immens anstrengend und bedrohlich für Sicherheit und gesellschaftliche Stellung, sondern würde auch Aktivitäten erfordern. Denn wer Unrecht erkennt und nichts dagegen unternimmt, verhält sich höchst ehrlos, wer sich hingegen hinter der Unwissenheit versteckt, ist unschuldig.

„Kaum hat man etwas Dummes gesagt, hört man von jemandem, der es wiederholt hat.“

(Georg Kreisler, 1922 – 2011, österr. Komponist, Dichter und Sänger)

Für die Fülle an Informationen, die wir zur Verfügung gestellt bekommen, ist nicht ausreichend Zeit vorhanden, um sie gewissenhaft zu konsumieren. So macht es in manchen Bereichen durchaus Sinn, nicht alles selbst überprüfen oder erleben zu müssen und sich auf Berichte anderer zu verlassen. Das ersetzt allerdings keine regelmäßige gedankliche Reinigung. Stattdessen wird die Kritiklosigkeit noch gesteigert, in dem man sich nur über Informationsfetzen oder Überschriften informiert, wodurch oft wichtige Aufklärungen, die solche Kurzbotschaften in anderem Licht erscheinen ließen, übersehen werden, und dieses Scheinwissen wird auch noch an andere weiter gegeben. 

Zum Glück haben wir Retter, die entscheiden, welche Informationen uns guttun und welche verbannt werden sollten, um eine völlige Verwirrung auszuschließen. Stellt euch nur einmal vor, jeder dürfte veröffentlichen, was er denkt und wir müssten uns durch den Dschungel tausender Mitteilungen wühlen. Wo bliebe da die dringend notwendige tägliche Erholungszeit vor dem Fernsehgerät, während der wir in halber Bewusstlosigkeit andere Meinungen unkontrolliert in unser Unterbewusstsein einmarschieren lassen – eine gewollte Taktik der Werbeindustrie, aber auch sonstiger meinungsbeinflussender Berichterstatter.

Während kritiklos Ansichten übernommen werden statt sich über Richtigkeit und Aufrichtigkeit Gedanken zu machen, wird man wütend auf all jene, die einem Unsinn und Widersprüchlichkeit der eigenen Ansichten präsentieren.

Die Suche nach der Wahrheit ist also nicht der Hauptfaktor bei der Meinungsbildung. Vielmehr geht es darum, ein bereits existierendes Weltbild aufrecht zu erhalten und dieses gegen jegliche Fakten zu verteidigen. Dazu werden abweichende Ansichten angepasst und konträre übersehen. Um aus diesem selbstgebauten geistigen Gefängnis zu entfliehen, muss man sich zuerst selbst hinterfragen. Erst, wenn man erkennt, dass man sich zu seiner Meinung regelrecht hat überreden lassen, um sich danach krampfhaft daran festzuklammern, beginnt man aus dem Halbschlaf aufzuwachen. 

„Der Irrsinn ist bei Einzelnen etwas Seltenes – aber bei Gruppen, Parteien, Völkern, Zeiten die Regel.“ 

(Friedrich Nietzsche, 1844 – 1900, deutscher Philosoph)

Meinungsfreiheit besteht darin, sich möglichst unbeeinflusst zu informieren und sich an eigenen Erfahrungen und inneren Werten zu orientieren. Meinungen ungefragt zu übernehmen, kann hingegen zu einer Gewohnheit werden, die dazu führt, dass man selbst immer weniger imstande ist, eigene Entscheidungen zu treffen. Man rutscht immer tiefer in die Falle der Fremdbestimmung und sieht das aus Gründen der Bequemlichkeit auch noch positiv.

Attraktive Versprechen, wie das des World Economic Forums „You’ll own nothing. And you’ll be happy“ können nur durch Aufmerksamkeit entdeckt und deren wahre Bedeutung in ihrer vollen Breite begriffen werden. Solche Pläne der Mächtigen können niemals mit den Überzeugungen der Menschen übereinstimmen und deshalb nur aufgrund von Meinungsformung erreicht werden. 

Im gedanklichen Dämmerzustand zu bleiben, kann tatsächlich sehr gefährlich sein und in eine Zukunft führen, die man so nie gewollt hat und wahrscheinlich später mit den Worten „ich habe das nicht gewusst“ kommentieren wird. Aber ein Nicht-Wissen gibt es nicht. Es mangelt nicht an fleißigen Wissenschaftlern, Redakteuren und sonstigen Aufklärern, es mangelt an Zuhörern und an eigenständiger Meinungsbildung.

Ein Hinterfragen der bisher kritiklos geglaubten angeblichen Tatsachen ist dabei ein guter Anfang. Am besten beschäftigt man sich gezielt mit gegensätzlichen Ansichten, die man ganz objektiv in Betracht zieht. „Wer weise ist, entnimmt jedem und allem Anhaltspunkte und Hinweise, selbst dem Wissen der Kinder, der Exzentriker und der Menschen, deren Sicht der Dinge er nicht teilt.“ (Ferguson: S 45)

„Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.“

(Evelyn Beatrice Hall, 1868 – 1956, englische Schriftstellerin)

Während es Menschen gibt, die gewisse Meinungen für gefährlich halten und deshalb einer Zensur gegenüber offen eingestellt sind, sind andere der Ansicht, dass das der Tod des freien Denkens und vor allem der freien Meinungsäußerung ist, was eine Weiterentwicklung von Ideen stoppt und vielleicht das Aufspüren eines bisherigen Irrglaubens. Immerhin würden wir ohne gefährliche Gedanken immer noch auf einer Scheibe leben, um die sich die Sonne dreht.

Für nervös gewordene, ansonsten gefügige Menschen habe ich vor kurzem im Internet einen Tipp entdeckt, wie man verrückte Verschwörungstheorien entlarven kann. Es wurde empfohlen, die genannten Namen aus solchen Berichten zu googeln. Da wir wissen, dass das Internet nicht zensiert und ebenso wie Politiker und Mainstream-Medien stets die Wahrheit verbreiten, ist das eine wunderbar einfache Methode, den aufgeschreckten Verstand zu beruhigen und ihn wieder einschlummern zu lassen.

Vertrauen wir also all jenen, die für uns entscheiden. Denn wer wirkt ehrlicher – derjenige, der Grundrechte einschränkt mit den Worten „diese Regeln dürfen nie in Frage gestellt werden“ oder derjenige, der sagt: „Glaubt mir nichts. Überprüft alles selbst.“

Literatur: 

  • Deutsche Wirtschaftsnachrichten. Keine Privatsphäre und kein Eigentum: Die Welt im Jahr 2030 nach Wunsch des Weltwirtschaftsforums; Artikel vom 10.04.21
  • Ferguson, Marilyn. Die sanfte Revolution: Gelebte Visionen für eine menschlichere Welt; Kösel, 2007
  • Freud, Sigmund. Massenpsychologie und Ich-Analyse; Anaconda, 2017
  • Fromm, Erich. Der kreative Mensch; Open Publishing, 2016
  • Habermas, Jürgen. Strukturwandel der Öffentlichkeit: Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft; Suhrkamp, 1990
  • Herrmann, Sebastian. Wer eine Meinung hat, ignoriert die Fakten; Artikel in Süddeutsche Zeitung vom 9. September 2013
  • Hüther, Gerald. Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher; Fischer Taschenbuch, 2017
  • Kant, Immanuel. Die drei Kritiken: Kritik der reinen Vernunft. Kritik der praktischen Vernunft. Kritik der Urteilskraft; Anaconda, 2015
  • Le Bon, Gustave. Psychologie der Massen; Kopp, 2015
  • Lossau, Norbert. Wir verlassen uns darauf, dass für uns gedacht wird; Artikel in „Die Welt“ vom 25.10.2016
  • Masely, Colin. Ein Mensch – eine Masse – eine Marionette: Die grundlegende Psychologie & Methodik hinter Propaganda; tredition, 2020
  • Rettig, Daniel. So soll es bleiben – Warum wir ungern unsere Meinung ändern; Artikel auf der Website „Alltagsforschung: Wissenschaft, die Wissen schafft“ vom 24. April 2012
  • Rousseau, Jean-Jacques. Der Gesellschaftsvertrag; Anaconda, 2012
  • Unzicker, Alexander. Wenn man weiß, wo der Verstand ist, hat der Tag Struktur: Anleitung zum Selberdenken in verrückten Zeiten; Westend, 2019
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