Meine Seele schreit. Vielmehr: Sie möchte schreien, aber ihre Stimme erstickt irgendwo zwischen Herz und Mund. Sie findet die Worte nicht für den diffusen, grauen Weltschmerz, den ihr die verängstigte, isolierte Welt seit Monaten verursacht.
Vielleicht ist es das Wesen hochsensitiver Menschen, dass ihre Seelen nicht nur flüstern, sondern schreien. Dass sie als Seismographen der Gesellschaft feinspüriger anzeigen und früher melden, was schiefläuft. Wie die Kinder, die ihre oft noch schutzlose Empfindsamkeit zurzeit in Scharen in die Psychiatrie führt.
Ich will es mit Schreiben versuchen, den Kummer meiner Seele zu fassen, damit sie nicht anfängt, über den Körper in Form von Krankheit auszudrücken, was ihr fehlt. Ja, in dieser Zeit stimmt die ärztliche Frage „Was fehlt Ihnen denn?“ nur zu genau.
„Wir haben doch trotz Corona fast alles“, mögen rationalere und etwas weniger empfindsame Menschen einwenden. Oberflächlich gesehen mag es für andere stimmen: Die Wohnung ist warm, der Kühlschrank voll, der Fernseher läuft. Und noch nie war so viel Zeit, geruhsam mit Chips und Bier auf der Couch vor dem Fernseher zu sitzen. Aber ist das wirklich genug? Ist das lebendiges Leben? Und was genau fehlt, sodass die Seele eher schreien möchte als singen?
Freiheit fehlt in einer von Maßnahmen fast erstickten Welt. Zärtlichkeit fehlt in einer von Machbarkeit(swahn) und vermeintlicher Virus-Kontrolle dominierten Welt. Offenheit fehlt in einer von wieder errichteten Grenzen separierten Welt. Liebe fehlt in einer von medial geschürter Angst geprägten Welt.
Corona lässt mich spüren, wie wenig Materielles seelisch zu nähren vermag. Wie sehr ein virtuelles Überangebot nur zu Überreizung, aber nicht zu geistiger Inspiration führt. Wie die körperliche Distanz mir jene freudigen Erfahrungen entzieht, die berühren und das Herz weit werden lassen.
Die tiefe Sehnsucht nach alldem zu bewahren, ohne unter dem Fehlen zu sehr zu leiden, ist die Herausforderung dieser Pandemie. Orte und Wege zu finden, wo die Verwirklichung dennoch möglich bleibt. Verbunden mit der Hoffnung, dass die Vision einer von Freiheit, Zärtlichkeit, Offenheit und Liebe geprägten Welt vielleicht durch den jetzigen Entzug sogar gestärkt wird.
Wer sehnt und hofft mit?