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Für Freiheit, Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit

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Grundrechte
und Rechtsstaatlichkeit

Am Rande des Abgrunds auf Wolke Sieben

Wir werden groß in einer Welt, in der alles geht. Wir werden groß in einer Welt, die frei ist und weit, ebenso frei und weit, wie wir es ertragen können. Den Blick weit offen in die Zukunft gerichtet, jetzt, genau jetzt sind wir so sehr am Leben, wie wir es vielleicht nie wieder sein werden. Und dann fiel uns ein Virus auf den Kopf, das wie die erdrückendste Sommerhitze alles auf Eis setzte. Unsere Welt ist seit 2020 mehr denn je zu einer Schaubühne geworden, auf der nun unter Milliarden Augen ein furchtbar schlechtes Stück gespielt wird. Plötzlich ist die freiheitliche Ordnung wie weggeblasen, Luft muss dort geschnappt werden, wo es noch Luft gibt, und das mit dem Jungsein, naja, das hängt erstmal, so wie die meisten anderen Dinge auch, in der Warteschleife. Wir sind die Kinder einer Zeit hinter Grenzen geworden, wir sind, und das vielleicht am meisten, die Kinder der Zerrissenheit. In den Augen der schnell vorbeistürzenden Menschen liegt mehr Misstrauen, denn wir teilen, nun viel strenger als zuvor, alles und jeden in Gut und Böse auf. Seit Anbeginn unserer Zeit scheinen diese beiden Kategorien unsere liebsten zu sein. Hart und ungnädig urteilen wir darüber, wer oder was gut oder schlecht, was richtig, was falsch, was positiv oder negativ ist, und gehen mit fester Überzeugung davon aus, dass es eine ultimative Antwort auf die Frage gibt, wer oder was auf welche Seite gehört. Dabei vergessen wir zu gerne, dass diese kleinen und viel zu dehnbaren gegensätzlichen Wörter nur eine Ausgeburt unserer kleinen menschlichen Vorstellung sind. Wir können be- und verurteilen, so viel wir wollen, einen Schlussstrich könnte man nur mit Bleistift ziehen, um ihn im nächsten Moment beschämt auszuradieren. Trotzdem hören wir nicht auf, mit unseren kleinen quietschenden Gummihämmerchen Richter zu spielen. Und mit jedem abschätzigem Blick, mit jedem Zeigefinger, dessen Spitze bedrohlich auf den anderen zeigt, mit jedem weiteren Hammerschlag wird der Boden unter uns brüchiger, bis sich kleine Risse wie zackige Schlangen bilden und zu Kluften werden. Und in den Kluften, da sitzen wir, Kinder der Zerrissenheit, und sollen positiv an eine Zukunft denken, während wir in der Gegenwart negativ bleiben.

Wie lange wir noch auf Eis liegen, lässt sich nur vage erahnen. Die Tage ziehen sich und die Welt, so wie wir sie kannten, scheint sich in ein altes verstaubtes Gemälde zu verwandeln, das wir irgendwann nostalgisch bestaunen werden. Die Möglichkeiten, die wir nun haben, bestehen darin, die Gegenwart zu gestalten und das möglichst feinfühlig und zart, so wie es der Frühling jedes Jahr tut. Mit unserem veralteten Himmel-oder-Hölle-Prinzip setzt man heute keine Meilensteine mehr. Die Herausforderung der Zeit ist es vielleicht, sich, jung wie alt, auf eine unserer schönsten, aber auch kompliziertesten Fähigkeiten zu konzentrieren, die Sensibilität. Sie glättet den Weg von Entfernung und Fremde hin zu der geborgenen Einigkeit, in der das „Wir“ mehr ist als ein Konflikt zwischen „Du“ und „Ich“. Wir dürfen eines nicht vergessen, auch wenn sich die Zeit anfühlt wie ein Stillstand, als würde der Sand in der Uhr einfach stecken bleiben, so dreht sich die Erde unter unseren Füßen doch stetig weiter. Was wir aus dem Boden machen, die Samen, die wir heute für morgen streuen, liegen in unseren Händen. Vielleicht ist nun ein guter Zeitpunkt, um hinter unser Gut-und-Böse zu blicken, um zu erkennen, dass wir am Ende doch alle eine Grauzone sind, eine Grauzone in einer Welt am Rande des Abgrunds auf Wolke sieben.

Bild

Jason Blackeye / Unsplash

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