Lange habe ich meine Freundin nicht gesehen! Ich ging auf sie zu. Als sie mich erblickte, machte sie einige Schritte rückwärts. Haben wir jetzt schon drei Babyelefanten Abstand? „Wie geht es dir?“, rufe ich ihr zu.
Sie macht noch einen Schritt zurück und zieht ihre Maske bis an den Rand ihrer Augenlider hoch: „Meiner Mutter geht es nicht gut; sie vermisst meine Besuche und meine Umarmungen. Sie will nicht verstehen, dass ich meine wöchentlichen Besuche jetzt drastisch einschränken muss. Sie besteht darauf, selbst zwischen Angst und Entbehrung zu entscheiden. Ich kann ihr das nicht geben, ich habe Angst schuldig zu werden, wenn sie Corona bekommt.“
Was sollte ich ihr antworten? Zur Liebe gehört, dass der andere seine Verantwortung und seine Entscheidungen behält. Mit unzähligen Masken kämpft die Angst gegen die Bedürfnisse des Selbst.
„Umarme sie, bitte!“, rufe ich ihr zu, wobei mir bewusst ist, dass ich damit zu den Covid-Leugnern gezählt werde.
Sie schüttelt den Kopf und biegt in die Seitengasse ein. Ich bin traurig, gehe weiter und zähle die Schritte, die ich benötige bis ich an jenen Punkt gelange, an dem sie stand.