von Alexandra Streubel
Regierungen müssen für ihre Fehlentscheidungen im Zuge der Pandemie zur Rechenschaft gezogen werden. So Kamran Abbasi, Chefredakteur des British Medical Journal.
Mord ist, laut Abbasi, ein emotionales Wort. Im Gesetz erfordert er Vorsatz. Der Tod muss als rechtswidrig angesehen werden. Wie könnte „Mord“ auf das Scheitern einer Reaktion auf eine Pandemie angewendet werden? Wenn Richtlinienfehler zu wiederkehrenden und fehlerhaften Lockdowns führen, wer ist dann für die daraus resultierenden nicht-covidbedingten Todesfälle verantwortlich? Wenn Politiker absichtlich wissenschaftliche Ratschläge, internationale und historische Erfahrungen sowie ihre eigenen alarmierenden Statistiken und Modelle vernachlässigen, weil Handeln gegen ihre politische Strategie oder Ideologie verstößt, ist das rechtmäßig? Wie viele Todesfälle braucht ein leitender wissenschaftlicher Berater, um zurückzutreten? Wie lange sollte das Testen und Nachverfolgen der Öffentlichkeit fehlschlagen, bevor ein Gesundheitsminister zurücktritt? Wie viele lukrative Verträge für unwissenschaftliche Diagnosetests, die an Freunde vergeben werden, führen zu einer Entlassung des Ministers?
Der „soziale Mord“ an der Bevölkerung ist mehr als ein Relikt vergangener Zeiten. Er ist heute sehr real und kann nicht ignoriert werden. Politiker müssen mit rechtlichen und wahlrechtlichen Mitteln zur Rechenschaft gezogen werden, und zwar mit allen erforderlichen nationalen und internationalen verfassungsrechtlichen Mitteln, fordert Abbasi. Staatliche Misserfolge, die zu Millionen Todesfällen führten, sind „Handlungen“ und „Unterlassungen“, die uns alle beschämen sollten.
Die Maßnahmen gegen Covid-19 können durchaus als „sozialer Mord“ eingestuft werden, wie kürzlich von zwei Professoren für Kriminologie, Joe Sims und Steve Toms, erklärt wurde. Der Philosoph Friedrich Engels prägte diesen Ausdruck, als er die politische und soziale Macht der herrschenden Elite über die Arbeiterklasse im England des 19. Jahrhunderts beschrieb. Sein Argument war, dass die von privilegierten Klassen geschaffenen Bedingungen unweigerlich zu einem vorzeitigen und „unnatürlichen“ Tod unter den ärmsten Klassen führten.
Heute kann „sozialer Mord“ den Mangel an politischer Aufmerksamkeit für soziale Determinanten und Ungleichheiten beschreiben, die die Pandemie verschärfen.
Nicht wenige Länder haben bei ihrer Reaktion auf das Virus versagt. Die globalen Fehltritte sind vielfältig und vom Independent Panel for Pandemic Preparedness and Response gut dokumentiert. In dessen Bericht wird gefordert, dass nicht-pharmazeutische Interventionen umfassend eingesetzt werden sollten – die Mittel, mit denen diese Interventionen eine Pandemie eindämmen, sind bekannt. Durch kollaboratives Handeln in diesen Bereichen könnte die Welt bestmöglich auf künftige Pandemien vorbereitet werden.
Idealerweise sollten Vorsorge- und Therapiemöglichkeiten nicht virusspezifisch, sondern universell sein:
- Sie müssen effektiv und sicher sein.
- Leichte Verfügbarkeit ist wichtig, um schnell handeln zu können.
- Und zuletzt müssen sie erschwinglich sein für großangelegte Aktionen.
Das globale Bild entbindet einzelne Führungskräfte und Regierungen nicht von der Verantwortung. Viele der Schlussfolgerungen des unabhängigen Gremiums sehen die Schuld direkt bei den Machthabern, obwohl es schwerfallen wird, einen einzigen Politiker zu finden, der seine Verantwortung für das Ausmaß der vorzeitigen Todesfälle eingestanden hat, geschweige denn zurückgetreten ist. Einige haben Reue geäußert, aber „Entschuldigung“ klingt hohl, wenn die Zahl der Todesfälle steigt und Maßnahmen, die Leben retten, absichtlich vermieden und verzögert werden.
Andere sagen, dass sie alles getan haben, was sie können, oder dass die Pandemie Neuland war. Es hätte keine Spielanleitung gegeben. Nichts davon ist wahr. Das sind eigennützige politische Lügen der „gaslighters in chief“. Als Gaslighting wird in der Psychologie eine Form von psychischer Gewalt bzw. Missbrauch bezeichnet, mit der Opfer gezielt desorientiert, manipuliert und zutiefst verunsichert werden, wodurch ihr Realitäts- und Selbstbewusstsein allmählich deformiert und zerstört wird.
Beim Gaslighting wird die Realität des Opfers in Frage gestellt. Nicht ständig, aber wiederholt und immer wieder. Das kann durch Verleugnung von Dingen, Verhaltensweisen oder Ereignissen geschehen oder sogar durch eine bewusste Inszenierung. Die Voraussetzung für diesen Prozess ist ein Vertrauensverhältnis von Opfer und Täter. Mit der Zeit beginnt das Opfer immer mehr an seiner Wahrnehmung und an seinem Verstand zu zweifeln.
Besonders wirksam ist Gaslighting, wenn nicht nur das Opfer selbst, sondern auch Personen aus dessen sozialen Umfeld manipuliert und missbraucht werden. So kann binnen sehr kurzer Zeit eine soziale Isolierung erreicht und das Selbstwertgefühl vernichtet werden.
Gaslighting in totalitären Regimen und Sekten ist ein potentes Mittel für Gehirnwäsche, Zersetzung (wie bei der Stasi), Manipulation und Indoktrination. Dies führt zu existenzieller Verunsicherung und Verwirrung, der Zerstörung des Selbstbewusstseins, der Persönlichkeit und der Widerstandskraft. Angstzustände bis hin zu Wahnvorstellungen können die Folge sein.
Einige Regierungen versuchen, ihre Bilanz zu verteidigen, indem sie behaupten, dass ihr Land mehr Tests durchgeführt hat, Todesfälle besser zählt oder eine höhere Bevölkerungsdichte aufweist oder stärker unter Überernährung leidet. All dies mag dazu beitragen, aber Zählmethoden oder Populationsfaktoren erklären nicht das Ausmaß der Leistungsschwankungen.
Seit Monaten werden tausende Menschen ihrer Freiheit beraubt aufgrund positiver PCR-Tests, bei denen nun sogar die WHO selbst vor dem Risiko falsch positiver Ergebnisse auf ihrer Website warnt. Es wird darauf hingewiesen, „dass der PCR-Test nur ein Teil der Diagnostik ist und eine abschließende Bewertung aus mehreren Parametern gestaltet werden muss. Jedem individuellen diagnostischen Ergebnis muss eine Kombination aus dem Zeitpunkt der Probenahme, dem Probentyp, den Assay-Spezifika, den klinischen Beobachtungen, der Patientenanamnese, dem bestätigten Status etwaiger Kontakte und epidemiologischen Informationen zugrunde liegen.“ Von einer Infektion oder Erkrankung könne also nur gesprochen werden, wenn diese eben genannten Informationen vorhanden wären, was allerdings von den Gesundheitsämtern nicht einmal erhoben wird.
Am 5.1.2021 wurde folgende Studie der Universität Stanford veröffentlicht: Untersucht wurde die Wirksamkeit der Lockdowns zur Reduktion der Fallzahlen in folgenden Ländern: England, Frankreich, Deutschland, Iran, Italien, Niederlande, Spanien, Süd Korea, Schweden, USA. Es wurden keine signifikanten Effekte durch die restriktiven Maßnahmen von Hausarresten und Geschäftsschließungen gefunden. Minimale positive, aber eben nicht signifikante Ergebnisse sind nicht auszuschließen, stehen jedoch, falls sie vorhanden sind, in keinem Verhältnis zu dem dadurch entstandenen Schaden. Die Autoren empfehlen dringend gezieltere Maßnahmen als Strategie für künftige Pandemien.
Trotz fehlender medizinischer Belege für eine positive Wirkung der Masken im Alltag beharren die Regierungen vehement auf einer Maskenpflicht und verschärften diese, zum Beispiel in Österreich, zuletzt sogar noch durch die Einführung einer FFP-2 Maskenpflicht, einem Mittel, das ausschließlich für den beruflichen Einsatz über sehr kurze Zeitspannen als definitives Einmalprodukt und nur nach ärztlicher Voruntersuchung eingesetzt werden sollte.
Das Robert Koch-Institut warnt vor unsachgemäßem Einsatz der FFP 2 Masken und bezieht sich dabei auf die Empfehlungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Bei Anwendung durch Laien ist kein erhöhter Eigenschutz gegenüber einem normalen Mund-Nasen-Schutzes nachgewiesen, weshalb vom Einsatz durch Laien zum Schutz vor Covid-19 abgeraten wird.
Abbasi stellt die provokante Frage, wer fahrlässige Politiker zur Rechenschaft ziehen kann, wenn sich die Bürger entmachtet fühlen. Wissenschaftsexperten mögen dies tun, aber offizielle wissenschaftliche Berater haben mehrfach versucht, Politiker zum Handeln zu überreden, bis es zu spät war. Oder sie haben geschwiegen, um öffentliche Kritik zu vermeiden. Mutige werden diffamiert und bedroht.
Die Medien könnten hier helfen und sich an ihre Pflicht erinnern, der Regierung die Wahrheit zu sagen und gewählte Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Und doch sind auch viele Medien mitschuldig, gefangen in ideologischen Silos, die die Pandemie durch eine Linse des politischen Tribalismus sehen und sich nicht trauen, ihren Lesern und Zuschauern, Eigentümern und politischen Freunden pandemische Wahrheiten zu sagen.
Tatsächlich ist die Wahrheit entbehrlich geworden, da Politiker und ihre Verbündeten lügen, irreführen und verdrehen dürfen, ohne einen Funken Widerstand von Journalisten und Rundfunkveranstalter zu spüren zu kriegen. Jeder, der es wagt, den Machthabern die Wahrheit zu sagen, ist unpatriotisch, illoyal oder ein „Hardliner“.
Minister in Großbritannien interagieren beispielsweise mit den Medien durch bereinigte Interviews, Pressekonferenzen auf der Bühne, vertrauliche Briefings an bevorzugte Korrespondenten und, wenn es schwierig wird, indem sie sich einfach weigern, zu erscheinen. Es ist diese Umgebung, die es ermöglicht hat, dass die Verleugnung von Covid-19 floriert, dass die Unverantwortlichkeit überwiegt und dass die großen Lügen der Pandemie, die die Welt erschlagen, verbreitet werden. Die wichtigsten Lehren aus dieser Pandemie beziehen sich weniger auf das Coronavirus selbst als vielmehr auf die politischen Systeme, die darauf reagiert haben. Kamran Abbasi sieht aufgrund des Versagens der Medien drei Möglichkeiten, die verbleiben, um die Staaten zur Verantwortung zu zwingen:
- Eine öffentliche Untersuchung, wie sie z.B. der Außerparlamentarische Corona-Untersuchungsausschuss in Österreich fordert.
- Ein Abwählen der Verantwortlichen (wie in Österreich durch Stellen eines Misstrauensantrags in der Sondersitzung des Nationalrats).
- Eine Ausweitung auf den Internationalen Strafgerichtshof
Quellen
Abbasi, Kamran. Covid-19: Social murder, they wrote—elected, unaccountable, and unrepentant. BMJ 2021; 372: n314.
Abbasi, Kamran. Covid-19: Politicisation, “corruption,” and suppression of science. BMJ 2020; 371:m4425.
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte; Hinweise des BfArM zur Verwendung von Mund–Nasen-Bedeckungen (z.B. selbst hergestellten Masken, „Community- oder DIY-Masken“), medizinischen Gesichtsmasken sowie partikelfiltrierenden Halbmasken (FFP1, FFP2 und FFP3) im Zusammenhang mit dem Coronavirus (SARS-CoV-2 / Covid-19); 26.06.2020, https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Medizinprodukte/DE/schutzmasken.html
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Independent Panel for Pandemic Preparedness and Response. Second report on progress. 2021. https://theindependentpanel.org/wp-content/uploads/2021/01/Independent-Panel_Second-Report-on-Progress_Final-15-Jan-2021.pdf
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Robert-Koch-Institut: Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2 / Krankheit COVID-19. https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html?fbclid=IwAR2xDFbpbioSt1rc8FLQxOFRQDcSXUIz8KJyK3cPEjz4cAtTVyNnc-D7anc
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WHO Information Notice for IVD Users 2020/05: Nucleic acid testing (NAT) technologies that use polymerase chain reaction (PCR) for detection of SARS-CoV-2 20 January 2021: https://www.who.int/news/item/20-01-2021-who-information-notice-for-ivd-users-2020-05