Am 8. Dezember musste ich meinen Mann, Ernst Rössler, ins Landeskrankenhaus Gmünd einliefern lassen, da er unter starker Atemnot litt und sehr verwirrt war. Er war 82 Jahre, hatte schon seit langer Zeit eine diastolische Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz sowie Anämie und Zucker, und er war leider auch seit längerem dement. Aufgrund dieser Erkrankungen, vor allem aber der Demenz wegen, hatte ich meinen Job vor ein paar Monaten aufgegeben, um mich ihm gänzlich widmen zu können.
Mein Mann wurde von der Rettung ohne mein Beisein ins Spital gebracht, ich durfte ihn trotz seiner Demenz nicht begleiten, denn er wurde – wie die meisten – als „Corona-Verdachtspatient“ aufgenommen. All meine Bitten, zu ihm zu dürfen, wurden ignoriert. Als ich, etwas lauter, meinte: „Das kann’s ja nicht sein! Ich möchte zu meinem Mann!“, wurde die Polizei gerufen. Ich hatte schreckliche Panik, dass mein Mann sterben könnte, bekam keine Luft und war nur am Heulen. Der Arzt nahm davon keine Notiz, er sah mir zwar beim Luftschnappen zu, aber Hilfe leistete er nicht. Als die Polizei kam, wurde mir erneut erklärt, dass es bedingt durch die derzeitige Situation keine Möglichkeit gebe, zu meinem Mann zu gelangen. Immerhin erkannte die Polizei, dass ich ein Problem mit dieser Situation hatte. Man versuchte, über den Journaldienst eine Psychologin zu erreichen, es war ja offensichtlich, dass ich am Boden zerstört war und eine Panikattacke nach der anderen hatte.
Ich beruhigte mich nach ein paar Stunden und konnte nach Hause fahren.
Am Abend rief ich im Spital an, um zu erfahren, wie es meinen Mann denn gehe. Man sagte mir, ich solle am nächsten Tag zwischen 14 und 15 Uhr anrufen, sollte ich es an diesem Tag noch einmal probieren, würde meine Nummer gesperrt werden. Dann wurde aufgelegt.
Den darauffolgenden Mittwoch bemühte ich mich, zu meinem Mann gelassen zu werden, leider ohne Erfolg. Ich erfuhr nur, dass es ihm besser gehe und dass der Schnelltest sowie der PCR-Test negativ waren.
Am Donnerstag durfte ich nach langen 48 Stunden endlich zu ihm. Es ging ihm eigentlich ganz gut, er lag zwar im Bett, aber als ich fragte, ob ich kurz die Maske entfernen dürfe, damit mich mein dementer Mann erkennen könne und ich die Genehmigung bekam, lächelte er mich an und sagte: „Mein Schatz ist endlich da.“ Doch die Freude war nur sehr kurz, denn nach einer Viertelstunde musste ich wieder gehen und ihn allein zurücklassen. Zum Schluss küsste ich ihn noch, auch dafür nahm ich die Maske kurz ab. Welch ein Fehler!
Am Freitag war mir ein Besuch wieder verboten. Die ärztliche Auskunft war sehr spärlich. Meistens hörte ich nur, dass er stabil sei. Am Samstag durfte ich wieder zu ihm, sogar für eine halbe Stunde. Leider trage ich keine Uhr, und da die Zeit wie im Flug verging, war schon eine Stunde um, als ich ging. Auch das blieb nicht ohne Folgen. Ich wurde zwar zu keiner Zeit darauf aufmerksam gemacht, dass ich überzog, aber es wurde alles (von wem, weiß ich bis heute nicht) notiert und in späterer Folge gegen mich verwendet.
Am Sonntag wie auch am Montag wurde erneut ein Besuchsverbot ausgesprochen. Am Montag erfuhr ich, dass mein Mann am Donnerstag oder Freitag entlassen werde. Ich war der glücklichste Mensch, aber das hielt nicht lange.
Am Dienstag durfte ich wieder zu ihm, aber mit Begleitung, da ich ja sonst wieder überziehen könnte! Und wieder wurde er auf Covid-19 getestet: Auch dieses Mal war der Test negativ. Obwohl mein Mann palliativ betreut wurde, erklärte man mir, dass das Besuchskontingent verbraucht sei, und dass ich ihn erst wiedersehen könne, wenn er entweder entlassen würde oder wenn es ihm so schlecht ginge, dass mit seinem baldigen Ableben gerechnet werden müsse. Wie immer rief ich auch an diesem Dienstag um 14 Uhr an, um mit einem Arzt zu sprechen, noch immer den freudigen Gedanken im Kopf, dass er ja am Donnerstag vielleicht schon zu Hause sein würde und der Albtraum dann endlich ein Ende hätte. Meine Zuversicht sank, als ich erfuhr, dass durch seine Durchblutungsstörungen im linken Fuß die Zehe nicht gut verheilte und eine Amputation erwogen wurde. Am Mittwoch und Donnerstag gab es dann keine Möglichkeit zum Besuch (Kontingent verbraucht), auch die ärztliche Auskunft war sehr verhalten und verwirrend. Einmal hieß es, die Zehe werde amputiert, dann wieder, man müsse doch den gesamten Vorfuß mitabnehmen. Am Freitag endlich stand die Amputation der Zehe fest. Man müsse nur noch den Blutverdünner absetzten und Blutkonserven besorgen. Da dies nicht rechtzeitig geschah, wurde die Operation von Samstag auf Sonntag verschoben.
Am Samstag dann der Supergau! Am Freitag war nämlich in Hinblick auf die Operation noch einmal ein Corona-Test durchgeführt worden und dieses Mal war er laut Arzt „hoch“ positiv!
Auch Samstag, Sonntag und Montag durfte ich nicht zu meinem Mann, im Gegenteil: Am Sonntag wurde ich von der Bezirkshauptmannschaft Waidhofen an der Thaya benachrichtigt, dass ich innerhalb von 48 Stunden einen PCR-Test machen müsse und ab sofort in Quarantäne sei. Am Montag fuhr ich nach Zwettl, machte den Test, erst einen Schnelltest mit negativem Ergebnis, am Dienstag dann auch noch einen PCR-Test, ebenfalls negativ.
Am Dienstag kam der Anruf des Palliativ-Teams: Meinem Mann gehe es nun doch sehr schlecht, man erlaube mir den Besuch um 13 Uhr. Als ich meinen Mann nach sieben Tagen endlich wiedersehen konnte, erschrak ich: Er erkannte mich zwar, trotz voller Montur, aber er war schon in einem wirklich sehr schlechten Gesundheitszustand.
Am Mittwoch war seine Tochter bei ihm und somit musste ich wieder warten.
Am Donnerstag hatte ich das große Glück, wieder zu meinem Mann zu dürfen, es war das letzte Mal. Er starb einsam und verlassen am Abend des 24. Dezember im Krankenhaus in Gmünd.
In dieser ganzen Zeit habe ich nichts unversucht gelassen, meinen kranken und dementen Mann zu besuchen. Ich habe Briefe geschrieben, Telefonate geführt, mit Anwälten gesprochen, habe die Landesgesundheitsagentur und das Bundesministerium informiert.
Ich hörte immer nur, ja, Frau Wojta, ich verstehe Sie und es tut mir auch sehr leid, aber das ist momentan die gesetzliche Lage und vielleicht beruhigt es Sie ja zu wissen, dass Sie momentan nicht die einzige sind, der es so geht. Niemand wollte oder konnte helfen. Und, nein, das beruhigte mich überhaupt nicht!
Im Gegenteil, ich bin wirklich entsetzt darüber, was man alten, kranken und dementen Menschen und ihren Angehörigen antut! Was für eine massive psychische Belastung, wie eine Bittstellerin täglich anfragen zu müssen, ob ich zu ihm dürfe, immer mit der Hoffnung, ein „Ja“ zu hören. Und dann doch immer wieder die Tür vor der Nase zugeschlagen zu bekommen. Nicht zu wissen, was sich mein dementer Mann denkt: Wurde er von mir verlassen, will ich ihn nicht mehr? Ihm in Gedanken dabei zuzusehen, wie er 24 Stunden am Tag im Bett liegt, immer auf dieselbe Mauer starrt, das war das Allerschlimmste für mich!
Seit dem 8. Dezember weiß ich, wie es ist, durch die Hölle zu gehen!
Ich bin seit März eine Gegnerin der Corona-Maßnahmen. Weder mein Mann noch ich trugen eine Maske! Ich achtete auf Abstand und darauf, die Hände zu desinfizieren, aber sonst lebten wir ein ganz normales Leben. Niemand von uns steckte sich mit Corona an! Aber während dieser zwölf Tage im Hochsicherheitstrakt LKH Gmünd musste ein alter, dementer Mensch Besuch entbehren, bekam jedoch dafür Corona!
Wer auch immer diese Geschichte liest, für meinen Mann und mich kommt jede Hilfe zu spät. Es gibt so viele andere Menschen, die dringend Hilfe brauchen. Ich möchte alles tun, was in meiner Macht steht, damit diese Gräueltat an meinem Mann und mir nicht ungehört bleibt, und ich hoffe sehr, dadurch auch den vielen anderen Menschen, die in einer vergleichbar verzweifelten Lage sind, helfen zu können!
31.12. Susanne Wojta