Meine Mutter, geboren 1937, ist Anfang Jänner 2020 nach Indien, Kerala, zur Ayurveda-Kur geflogen.
Im März wurde alles hektisch, man schickte die Touristen nach Hause. Da der Rückflug meiner Mutter offiziell erst für den 30. April gebucht war, wurden natürlich alle vorgezogen. Bis dann alles zu war. In der Zwischenzeit habe ich, ihre Tochter, meine Mutter beim Außenamt gemeldet und wir bekamen schließlich Informationen zu den sogenannten Repatriierungsflügen. Diese wurden von unterschiedlichen Ländern organisiert und an uns weitergeleitet: sie gingen von Colombo, Delhi, Kolkata usw. nach Zürich, Frankfurt, München usw. Inlandsflüge, Zug oder Bus: Vor Ort war nichts mehr möglich. Daher organisierte ich ein Schreiben von der Österreichischen Botschaft in Delhi, damit meine Mutter mit einem Taxi ungehindert von Straßensperren zum Flughafen gelangen konnte.
Allerdings war da das nächste Problem: Diese „Notflüge“ waren sehr kurzfristig angesetzt und für meine Mutter nicht erreichbar. Zudem: ohne Platzgarantie. Da gibt es z.B. eine schwedische Maschine, die von Delhi nach Frankfurt fliegt.
Für meine 83-jährige Mutter bedeutet das: Eine Taxifahrt von 60 (!) Stunden ohne Unterbrechung. Und dann bekommt sie keinen Platz– was macht sie dann?! Oder … man nimmt sie mit bis Frankfurt und dann kommt sie nicht weiter nach Österreich? Also ist sie geblieben.
Glücklicherweise haben wir sehr liebe Freunde, bei denen sie gut aufgehoben ist. Und eigentlich ist es wunderbar, dass sie vor Ort ist, und wir sie dadurch vor so manchen, Hunger oder auch Schlimmerem, bewahren konnten. Es gab ja für niemanden mehr ein Einkommen!
Zu dieser Zeit machten wir uns Sorgen wegen dem Virus. So habe ich sehr früh begonnen, mich mit den offiziellen Zahlen zu beschäftigen, sie mit Grippezahlen der Vorjahre zu vergleichen. Und bin sehr früh „wach geworden“ und konnte meine Mutter und uns beruhigen.
Alle 14 Tage musste vor Ort der Aufenthalt, also das Visum, verlängert werden.
Dann lief der Pass ab. Also hieß es wieder Kontakt mit der Österreichischen Botschaft in Delhi aufnehmen. Ein sehr (!) hilfsbereiter Mann hat sich der Sache angenommen. Für einen Notpass brauche er: einen Staatsbürgerschaftsnachweis, eine Heiratsurkunde, eine Geburtsurkunde meiner Mutter. Wer nimmt das mit in den Urlaub? Was wäre gewesen, wenn niemand Mutters Schlüssel zur Wohnung und Zugang zu ihren Dokumenten gehabt hätte? Oder meine Mutter keinen Zugang zu ihrem E-Mail-Account?
Endlich ist der Notpass da. In der Zwischenzeit haben wir zahllose Flugtickets zerrissen: Flug gebucht, der dann doch nicht stattfand. Mittlerweile möchte meine Mutter gar nicht mehr nach Hause. Sie hat Angst, alleine in ihrer Wohnung zu hocken.
Am 26.11. geht ihr – bis jetzt bestätigter – Flug nach Hause.
Rechtlich muss sie ab dem Moment, wo das möglich ist, innerhalb von 14 Tagen das Land verlassen.
Ich wohne 300 km von ihr entfernt. Wahrscheinlich muss sie in Quarantäne? All diese Gedanken machen beschäftigen uns doch einigermaßen: Am 18. Februar 2021 wird sie 84. Das alles hat sie – wie so viele andere auch – nicht verdient.
Übrigens kennen wir bis heute niemanden, weder in Österreich noch in Indien noch in unserem weltweiten Bekanntenkreis in Griechenland, Deutschland, Kroatien und der Schweiz, der mit dem Virus ein Problem gehabt hätte.
Aber wir kennen sehr viele Menschen, die wegen der Maßnahmen erhebliche Probleme haben.
Am 26. November kann meine Mutter dann endlich wieder in Wien landen. Sie hat das Glück, ein kurzes Zeitfenster zu erwischen, in dem drei Flüge möglich sind. Schon am 27.11. wird der Flugverkehr wieder eingestellt.
Von Koch nach Dubai muss sie mit Handschuhen, medizinischer Maske und Plastikschild im Flugzeug sitzen. In Dubai gelandet, darf sie das Plastikschild abnehmen und nach Wien weiterfliegen. Alles in allem sehr anstrengend. Nachdem sie einen aus Indien stammenden negativen PCR Test vorweisen kann, muss sie nicht in Quarantäne.
Wir wohnen, wie gesagt, 300km von ihr entfernt, haben sie also nur kurz besuchen können. Jetzt hockt sie allein in ihrer Wohnung. Sie ist ein unglaublicher Gesellschaftsmensch und dieser Zustand ist für sie ganz einfach nur furchtbar. Durch meine Informationen ist sie jetzt glücklicherweise oder auch leider (?) anders gepolt als der Rest ihres Bekanntenkreises, der sich ausschließlich am Mainstream orientiert. Telefonische Diskussionen mit ihren Jahrzehnte langen Freundschaften, Unverständnis und Verunsicherung sind nun die Folge.
Ich suche nach einem Schlusssatz für diese Zeilen … bin aber ganz einfach nur sprachlos.