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Tod und Lebendigkeit

Tod und Lebendigkeit

Von Martin Brunner-Kühr

Nichts zeigt die Corona Krise deutlicher als unser abgetrennt sein von der Lebendigkeit, die die Erde hervorbringt und beheimatet. Wir verhalten uns wie schlafwandelnde Untote, deren einziges Ziel Zerstreuung und unmittelbare Bedürfnisbefriedigung ist. Dabei scheint es als ob wir die Fähigkeit uns fühlend und emphatisch mit dem Leben zu verbinden entweder verlernt oder nie ausgebildet haben. Da der Mensch, dort die Natur, ist eine Gegenüberstellung, die nicht zulässig ist. Sie ist ein sprachlicher Kniff, ein raffiniertes Täuschungsmanöver, durch das wir uns, elegant, jeglicher Verantwortung für die Leiden, die wir der Erde zufügen, entziehen können. Lebendigkeit können wir nur durch die Verbindung mit Lebendigkeit erleben. Erst durch das offene begegnen auf Augenhöhe, werden auch wir fähig den Puls des Lebens, die Freude an der Existenz an sich, zu erleben. Das Bewusstsein, ein Lebender unter Lebendem zu sein, ermöglicht es uns erst sich dieser tiefen Erfahrung zu öffnen. Solange ich mich als nicht dazugehörig, als abgetrennt empfinde, bleibt mir diese Erfahrungswelt verschlossen.

Darin liegt unser Problem. Wenn ich überzeugt bin, in einer leblosen Welt zu existieren, werde ich alles was ich erlebe, auch dieser Überzeugung gemäß interpretieren. Ich bin vom empathischen Sein in der Welt abgeschnitten. Das dem Leben zu Grunde liegende Prinzip liegt im Kreislauf von Geburt und Tod. Es ist nicht das Leben, das dem Tod gegenübersteht, sondern die Geburt. Beide gemeinsam bringen den Prozess hervor, den wir Leben nennen. Beide sind, in gleichberechtigter Weise, die elementaren Bestandteile der pulsierenden, atmenden, sich gegenseitig nährenden Welt. Ohne Tod keine Geburt und umgekehrt.

Um mich selbst lebendig zu fühlen muss ich das Leben aus tiefstem Herzen lieben und ehren, den eigenen Tod ohne Furcht willkommen heißen. Denn mein eigenes Dahinscheiden, ermöglicht es unzähligen anderen Wesenheiten, durch ihre Lebendigkeit, die Erde in ihrer Fülle erblühen zu lassen. Der Mensch ist einerseits, das todbringendste Wesen dieser Erde, andererseits dasjenige, das die eigene Sterblichkeit nicht akzeptieren will. Todbringend für die eigenen Anverwandten, direkt durch Kriege, indirekt durch das Schließen von Grenzen, durch das Ausbeuten anderer Länder. Wir haben die Sklaverei zwar offiziell abgeschafft, führen sie aber unter einem anderen Titel weiter. Durch das nicht vorhandene Verständnis für unser Eingebundensein in die Lebensprozesse dieses Planeten verletzen wir, oft mutwillig, oft aus reiner Gedankenlosigkeit, die Erde in ihrer Würde. Durch unser Handeln sind schon unzählige Arten zu Tode gekommen. Der Reichtum und die Vielfalt des Lebens, wird durch unsere Unfähigkeit in Liebe und Empathie auf dieser Welt zu sein, unwiederbringlich zerstört.

Der ideale Mensch unserer Zeit ist jung, dynamisch, belastbar, flexibel, positiv. Er ist überdies männlich, weiß, wird nie krank, ist so zu sagen unverletzlich, und natürlich ist er unsterblich. Wir haben alle Schwächen eliminiert. Befinden uns im permanenten Prozess der Selbstoptimierung. Alles was wir tun ist “um zu“. Wir laufen, um fit zu bleiben. Wir arbeiten, um Geld zu verdienen. Wir treiben Sport, um leistungsfähiger zu werden. Wir machen Yoga, um uns zu entspannen. Kaum etwas tun wir aus Freude am Tun oder um des Tätig-Seins an sich. Alt zu werden ist in unserer Gesellschaft mit einem Makel behaftet. Wir unternehmen alles Mögliche, um diesen Prozess aufzuhalten, oder ihn zumindest unsichtbar zu machen.

Wie ist es dann erst mit unserem Verhältnis mit dem Tod bestellt? Gar nicht!

Wir klammern Ihn aus, ignorieren Ihn. Der Tod ist in unsrer Gesellschaft nicht sichtbar. Wenn doch gestorben wird, basteln wir reißerische Schlagzeilen drum herum, sind entsetzt und der Meinung, dass so etwas nicht mehr vorkommen darf. Mitten in dieses phantastische Idyll, schiebt sich nun ein kleiner Virus und lüftet, ein kleines Stück von der Decke, die wir über das Thema Tod gelegt haben. Er konfrontiert uns mit unserer Verletzlichkeit und Sterblichkeit. Unsere Reaktion ist panisch und hysterisch. Politik und Wissenschaft verbünden sich in dem Wahn alles kontrollieren zu wollen, und den Tod zu besiegen. Doch dieser Kampf kostet uns allen das Leben bei lebendigem Leibe. Wir opfern grundlegende Praktiken, die für unser Zusammenleben konstituierend und unerlässlich sind. Wir opfern all jene Kulturtechniken, in denen wir uns in Gemeinschaftlichkeit, lebendig fühlen können. Im Tanzen, Singen, im gemeinsamen Musizieren, in der geteilten Aufmerksamkeit beim Erleben eines Theaterstücks. All dies ist kein banales Beiwerk unseres Lebens. Es ist nicht der Glitter, der in den Ästen hängt. Es sind vielmehr die Wurzeln, ohne die der Baum unserer Spezies, kraftlos zur Seite sinken würde.

Literatur:

Albert Schweizer, Kultur und Ethik C.H. Beck, München 1960
Andreas Weber, Lebendigkeit, Kösel- Verlag, München 2014
Byung-chul Han, Palliativgesellschaft, Matthes & Seitz Berlin, 2020

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